1959 wurde unser “halber P 70” gepackt. Das war bei dieser “Limousine” aber nicht ganz einfach. Der Wagen hatte zwar einen Kofferraum, aber keine Kofferraumklappe. Die war in der DDR noch nicht erfunden. Da das Gefährt nur 2 Türen besaß, mussten alle Ferienutensilien durch die Beifahrertür über die hintere Sitzbank geschoben werden. Die hintere Rückenlehne musste natürlich zuvor entfernt werden, um das Gepäck zu verstauen, bis in den Kofferraum zu schieben.

Zeltplatz (Quelle)

Wir 4 Zottmänner fuhren mit Jutta Mäm an die Ostsee nach Rerik-Meschendorf. Jutta bekam aber auch nur einen schmalen Sitzplatz zugewiesen, obwohl ja das halbe Auto theoretisch nur ihr zustand.

Gewohnt haben wir wie die Sprotten in der Büchse. Unser Dreiviertel-Rundzelt bot mit Ach und Krach jedem eine schmale Liegefläche. Tischchen, 2 kleine Eisenhocker, 2 Mini-Eisenliegestühle mit Flügelschrauben und das Kochgeschirr mussten draußen bleiben. Aber: Es war der beste Urlaub den wir bis dato erlebt hatten. Es war gefühlt wunderschön, zumal auch das Wetter richtig mitspielte …

Hier geschah der zweite Angriff der Sowjets auf mein junges Leben. Über der See fand in der Ferienzeit fast täglich ein Luftsack-Schießen statt. Ein Flugzeug flog über der Ostsee Kreise und zog einen Luftsack als Ziel hinter sich her. Die Artillerie feuerte dann nach Herzenslust darauf. Die Reste dieser Salven sollten über der unbewohnten Halbinsel Wustrow oder aber im Salzhaff niedergehen.

Das klappte aber nicht so recht …

Und so kam es, dass die friedlichen Urlauber nicht nur Ferien mit Kanonendonner ertragen mussten, nein es flogen gar Granatsplitter auf den Zeltplatz und durchschlugen Zelte! Verletzte gab es aber zum Glück auch hier keine. Das habe ich also auch überlebt!

Doch aller guten Dinge sind drei:

Anfang der 1960-er Jahre hat mein Großvater entlang des Weges an der Bornholzweg-Siedlung, also ab Panzerweg, der heute Dorothea-Milde-Weg heißt, bis zum Ende der Siedlung uneigennützig einige Dutzend Akazien-Bäume gepflanzt. Die stehen heute alle noch und sind knapp 50 Jahre alt. Ich habe dabei mehrmals geholfen. Es waren ja nicht nur die Pflanzlöcher zu graben, nein, das Wasser zum Angießen musste damals noch vom Hydranten auf dem Bornholzweg geholt werden.

Ich fuhr immer aus der Süderstadt kommend mit dem Fahrrad über den Langenberg und Bornholzweg zu meinen Großeltern. Nicht vergessend die nette, aber schwerhörige frühere Lehrerin, Hundezüchterin und bekannte Malerin Dorothea (Dorchen) Milde zu grüßen.

Auf Höhe des ersten Grundstücks der Bornholzweg-Siedlung schlugen einmal unvermittelt links neben mir am Hang Gewehrsalven ein. Ich ging, ohne es je gelernt zu haben in Deckung. Das Waldstück zwischen Altenburg und Eselstall/Seerosenteich war damals noch sowjetisches Sperrgebiet. Und dort haben wohl ein paar Russen verrückt gespielt und eben mal ihre Flinten quer über das Grüntal gehalten. Mit Sicherheit würde man heute die Geschosse mittels Detektoren noch finden ….

Hurra ich lebe noch!

Im Jahr 1960 wiederholte sich in den großen Ferien, den Urlaub betreffend, fast alles. Nur Jutta fuhr nicht wieder mit, und es ging diesmal nach Kühlungsborn. Also wieder zur Ostsee. Dieser Urlaub wurde mit Ilse Sch. einer HO-Dekorateurin und Kollegin meines Vaters, und ihren Kindern Ina und Rainer verbracht. Frau Sch. lag in Scheidung, doch ahnte keiner, dass wir sie dort letztmalig sahen. Nach dem Urlaub sind die drei über Westberlin in den Ruhrpott nach Essen geflüchtet. Meine Schwester bekam zuvor noch Inas todschickes Nylonkleidchen geschenkt. Doch nicht deswegen habe ich diese Ferien in schlechter Erinnerung.

Gleich nach dem Zeltaufbau begann es für 3 Tage in Strömen zu regnen. Als endlich die Sonne wieder hervorlugte, trat ich am 4. Tag in eine riesige Glasscherbe. Meine linke Hacke war trotz getragener Sandalen zerschnitten und hing fast daneben. Verbandszeug hatten wir nicht in ausreichender Menge, und so wurde mir rollenweise Klopapier drumherum gewickelt. Ab in die örtliche Poliklinik. Hier wurde meine Hacke wieder angeklammert. Schön soweit, besonders weil sich beide Elternteile nun nur um mich sorgten. Das war der beste Aspekt bei allem Übel.

Nur ans Baden war trotz neuer Gummi-Badeschuhe nicht mehr zu denken.

Scheiß-Ferien!

Die Anderen hatten da mehr Glück, die konnten nach Herzenslust “planschen”. Besonders Rainer wird sich gefreut haben, die Ostsee noch zu erleben …

Bei einem Klassenausflug ins Selketal gegen Ende der 50-er Jahre badete seine Klasse hinter dem Selkefall zwischen Alexisbad und Mägdesprung im damals noch sichtbaren Karlsteich. Rainer sprang dort mit einem kühnen Kopfsprung ins Wasser und blieb kopfüber im Schlick stecken. Seine Kameraden begriffen gar nicht sofort, was geschah, als er ab Bauchnabel senkrecht aus dem Wasser ragte. Doch dann wurde er gerade noch rechtzeitig gerettet. An dieser Stelle war das Wasser noch maximal 5 cm tief, darunter nur Schlick.

Aufgrund der mangelnden Gewässerpflege ist dieser Teich heute total verlandet.

Nach diesen Schulferien war unsere Klasse geschrumpft. Eine Mitschülerin, Sonja S. nebst Eltern, ist auch in den Weiten des goldenen Westens entschwunden. In manchen Schulklassen fehlten auch gleich mehrere Kinder.

Der Exodus war auch für 9-Jährige deutlich zu spüren!

Im Gegensatz zu den anderen Schulkindern, glaubte ich aber zu wissen, was die Flüchtlinge erwartet: Das von mir schon erlebte Land der Superlative, das Land meiner Träume, in dem mir alles schöner erschien.

In unserem Nachbarhaus verschwand auch noch eine weitere Familie mit einer Jutta.

Nun gab es nur noch 2 Juttas in unserer kurzen Straße.

Pioniere

Jede Schule beschäftigte einen hauptberuflichen Pionierleiter und einen FDJ-Sekretär. Die waren nur zu unserer Betreuung und der politischen Bildung an unserer Schule. So war Herr Walter T. unser Pionierleiter. Er war für alle Schüler der Unterstufe, die sogenannten Jungpioniere, also bis Ende der 4. Klasse zuständig, betreute aber auch weiterhin alle Pioniere bis zur 8. Klasse.

Ab 5. Klasse, der Oberstufe waren wir dann automatisch Thälmann-Pioniere.

Dann erst, mit 14 Jahren “durfte” man FDJ-ler werden. Ab da hatte der FDJ-Sekretär bis Ende der 10. Klasse, der sogenannten Mittleren Reife, das Sagen.

Unser Sekretär war Annerose K.. Sie kümmerte sich aber auch übergreifend um die Belange der größeren Pioniere. Sie war Mittler zwischen Schülern und Lehrern, ein wirklicher Ruhepol in der Schule, ein geachteter Anlaufpunkt. Einem heutigen Schul-Sozialarbeiter entsprechend.

Pioniernachmittag (Quelle)

Der Mittwochnachmittag war unumstößlich der Tag der politischen Bildung, der grundsätzlich spielerisch als Pioniernachmittag stattfand! Wir hatten dazu in weißem Pionierhemd und blauem Pioniertuch zu erscheinen. Da wurde gebastelt, oder aber Geländespiele durchgeführt. Alles recht kindgerecht, aber immer mit dem Gedanken der politischen Erziehung verknüpft. So wurde uns ganz beiläufig eingebleut, dass die Völker der Sowjetunion die friedliebendsten der ganzen Welt sind und wir das große Glück haben, die Sowjetunion an unserer Seite zu wissen.

(Welchen Wahrheitsgehalt diese Weisheiten hatten, zeigt sich heute, an den sich schon 20 Jahre die Köpfe einschlagenden Turkvölkern …)

Ebenso bekamen wir vermittelt, dass wir den Sozialismus aufbauen und alle schlechten Menschen westlich der Friedensgrenze wohnen.

FDJ-ler (Quelle)

So erging es uns auch als FDJ-ler. Nur hatten wir ab sofort blaue Hemden zu tragen. Die politischen Vorzeichen waren aber logischerweise die gleichen, deren Vermittlung jedoch wesentlich intensiver. Außer den Mittwoch-Nachmittagen gab es noch eine Menge von Arbeitsgemeinschaften über die Woche verteilt.

So zum Beispiel: Junge Gärtner, Astronomen, AG der Mathematiker, den Schulchor, den Spielmannszug. Des Weiteren gab es verschiedene Sport-Arbeitsgemeinschaften. Und es wurde außerschulische Nachhilfe für die schwachen Schüler organisiert. Unsere Schulwochen waren somit oft fast Volltag-Jobs, sofern man sich daran beteiligte. Außer mittwochs war alles freiwillig.

Und jeder Schüler konnte für anfangs 30 Pfennige an der Schulspeisung, dem Mittagessen teilnehmen.

Im Rückblick (die Ideologie ausklammernd) war unser Schulalltag sinnvoller als heute organisiert. Wir wurden wesentlich intensiver zu einem Miteinander erzogen. Es gab einen größeren Zusammenhalt als heute. Wir erlernten noch die Möglichkeit der gegenseitigen Rücksichtnahme und nicht nur das Gebrauchen der eigenen Ellenbogen.