Ich hätte ein halber Franzose werden können und besäße heute eventuell einen Ellsässer Weinberg. Doch … es kam anders!
Mein Vater hatte wohl nach seiner langen, unschuldig, und noch dazu doppelt verbüßten Gefangenschaft in Folge des 2. Weltkrieges verständlicher Weise mehr Lust, Frankreich und die schönen Elsässerinnen schnellstmöglich zu verlassen und wieder die Seinen zu sehen.
Und so kam es, dass er nicht in Eisleben, wo er aufwuchs, sondern in Quedlinburg, wohin der Krieg seinen Bruder und die Mutter verschlagen hatte, ansässig wurde und 1949 heiratete.
Der 27. April des Jahres 1951 war der bis dahin wohl bewegendste Tag im Leben meiner Eltern.
ICH wurde durch sie rücksichtslos ins Geschehen des Jahres 6 nach Kriegsende geworfen …
Ich bin somit für absolut nichts verantwortlich, denn die Gene waren durch meine Eltern vorgegeben und meine Erziehung wurde nur durch sie selbst bestimmt. Das ist Fakt!
Ich habe nur zu verantworten was ich sage, nicht was andere von mir denken.
Gefragt, ob mir das alles genehm ist, hat damals auch niemand! Rückblickend danke ich aber dennoch meinen Erzeugern … Was wäre mir alles entgangen!
Aufgrund sorgsamster Vorbereitung standen mein Geburtsdatum und mein zukünftiger Vorname schon einige Zeit fest: “Jürgen” sollte ich heißen! (in damaliger Zeit eher ein Sammelbegriff, jeder 3. hieß so)
Was für ein gewöhnlicher Name! Doch ihre Rechnung ging glücklicher Weise nicht auf.
Vaters Kriegskumpel war 9 Monate zuvor in gleicher Nacht, aber an anderer Stelle, ebenso spendabel, und so wurde in Halle/Saale just am selben Tag schon ein Jürgen, ein Jürgen Weiß geboren. Dumm gelaufen!
Vater Weiß war obendrein der Schnellere, es per Brief und Trommel der ganzen Welt kund zu tun, und so blieb wegen späterer Verwechselungsgefahr meinen Eltern nur die Möglichkeit, ganz schnell einen neuen Namen zu “erfinden”. Nur darum heiße ich heute Volker und nicht Jürgen.
Als ich auf dem Weg an die frische Luft davon erfuhr, hätte ich zu gern kehrt gemacht. Volker ist nach meinem Empfinden nämlich noch grässlicher!
(nordisch: Volk und Heer)
Doch ist ja der Geburtskanal recht beengt und für eine Wende denkbar ungeeignet.
Also lautete mein Motto: Nichts wie durch, gemeckert wird später!
Und das tue ich jetzt …
Heute wüsste ich den passenderen Namen für mich:
Felix, meinem derzeitigen, schon viele Jahre anhaltendem Empfinden geschuldet, der Glückliche!
Oder aber schlicht Mark! Nein, nicht Marc der französische Trester-Brand (Schnaps) ist gemeint, nein ich meine die Mark!
Mark, wie das gute harte deutsche Zahlungsmittel vor dem teuren Euro. Wie der Taler, der Taler im Kinderlied, kennt ihr doch:
“Taler, Taler, du musst wandern, von dem Einen zu dem Andern …”
Denn meine Wanderschaft begann sofort, nicht erst als Geselle …
In der Quedlinburger Heinrich-Zille-Straße 21 wohnten wir vorerst beengt zu viert. Vater, Mutter, Kind und meine Oma Hedwig. Da aber in den folgenden Jahren der Familienclan nur selten vollzählig war, konnte der Wohnraum durchaus als reichlich oder angemessen bewertet werden.
Diese Wohnung bewohnte zuvor die Familie meines Onkels Otto Zottmann, des 13 Jahre älteren Bruders meines Vaters, und Tante Maria. Ebenso wohnte bis 1949 Fam. S. in der Nachbarschaft. Beide Frauen, die Schwestern Maria und Aenne, sind in den Kriegswirren wegen des Bombenhagels auf Düsseldorf aufs Land geflohen und in Quedlinburg gestrandet. Hier kamen fast alle ihre Kinder zur Welt. 1949 aber zogen sie in einer gut vorbereiteten Nacht- und Nebelaktion nach Düsseldorf zurück. In der Wohnung verblieb nur Oma Hedwig, die Mutter meines Vaters und meines Onkel Ottos, sowie mein Vater selbst.
Nur durch eine gehörige Portion von Beziehungen und die schnelle Heirat meiner Eltern konnten sie die Wohnung für sich requirieren.
Hier hätte ich prima gedeihen können, doch kam es anders …
Ab jetzt wurde ich gewollt und teils auch von meinen Eltern unverschuldet nur noch rumgereicht.
Ganze 4 Jahre lang, dauerte diese Odyssee, meine Wanderschaft, erst dann kam ich zur Ruhe.
Meine Verwirrtheit in meinem Hinterstübchen ist aber geblieben. Mir ging es damals schon so ähnlich wie den heutigen Alzheimern … ich lernte dauern neue Leute, allerdings wirklich neue Bezugspersonen, kennen.
Im tiefsten verborgenen Unterbewusstsein aber haben mir diese Jahre zugesetzt.
Im späteren Leben war diese Zeit wohl oft ausschlaggebend, dass ich versuchte meiner Umgebung mehr Aufmerksamkeit abzuverlangen, als sie gewillt war mir zu geben.
Die ersten Lebensjahre sind nun mal prägend, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Heute kann ich mir alles erklären: Meine ersten 4 Lebensjahre waren die Prägendsten!
Doch nun der Reihe nach …
Gerade lernte ich meine 20-jährige Mutti und meinen 5 Jahre älteren Vati kennen, da wurde ich schon den Mutterbrüsten willentlich entrissen.
Ganze 6 Wochen war ich alt, da schleppten sie mich schon allmorgendlich, des Geldverdienens wegen, für ganze Tage in die Kinderkrippe “Elisabeth-Stift”, in die Wallstraße. Am 11.Juni 1951 fand dort mein erstes “Vorstellungsgespräch” statt. Und die haben mich auch gleich dabehalten.
Kaum hatte ich die Gesichter der Betreuerinnen einigermaßen intus, wurde ich schon wieder dieser Krippe entwöhnt und wurde im Wochenheim Halberstadt stationiert. Und das hatte die Bewandtnis, dass meine Mutter eine politische Verwaltungsschule besuchte. Mein Aufenthalt dort begann im Juli 1952 und dauerte bis Dezember gleichen Jahres. Im Gegensatz zur Krippe, die ich täglich verlassen durfte, empfand ich den Halberstädter Aufenthalt wohl eher als verschärfte Haft. Denn hier blieben alle armen Wichte ohne ihre Mütter die ganze Woche in Verwahrung. Da ging es erst sonnabends zurück in die Heinrich-Zille-Straße, um sonntags gegen Abend schon wieder abgeliefert zu werden.
Mein Verweilen dort hat sicher auch meine Oma Hedwig nicht gut geheißen.
Ab Januar 1953 verschlimmerte sich meine Lage nochmals dramatisch. Ich durfte überhaupt nicht mehr nach Hause. Ich hatte mich mit Tuberkulose infiziert.
Ob letztes Heim so zugig war oder ich mich beim Vati (auch TBC-krank) ansteckte, blieb ungeklärt. Jedenfalls lautete meine neue postalische Anschrift nun Kinder-Krankenhaus Brühlstraße in Quedlinburg, die meines Vaters TBC-Krankenhaus “Dippe-Stift” in der Taubenbreite. Das währte so bis in den Juli 1953, bis meine Hylus-Drüsen-TBC ausgeheilt war.
Nun irgendwann lernte ich auch meine Eltern und die Oma wieder kennen.