Plastopack v.oben

Am 1. März 1977 kam dann mein Absprung, ich startete als Meister für Investitionsbau im VEB Plastopack Harzgerode durch. Genau 8 Jahre war ich dort.

Auf den Tag genau!

Ab sofort war ich immer im Heimatort beschäftigt, ohne jede Rüstungsaufgaben, wunderbar …

Aber es war für mich doch sehr ungewohnt in einem Betrieb den ganzen langen Arbeitstag eingesperrt zu sein. Daran habe ich mich, ebenso wenig wie an die deutsch/deutsche Grenze gewöhnen können. Doch mein Posten eröffnete mir auch genug Gelegenheiten mal auszubrechen. Die gesamte Invest-Bauleitung nahm sich diese Freiheiten.

Es gibt Menschen, denen man im Leben begegnet, die sind einem sofort sympathisch, und oft kann man es nicht mal begründen, die Wellenlänge stimmt.

Bei Betriebsdirektor Karl L. ging es mir so. Wir beide hatten in Vielem durchaus gemeinsame Ansichten, nur wusste ich es damals noch nicht, spürte es allenfalls.

ZV (Quelle)

So hatte auch er eine Riesenaversion gegen die Kampfgruppen. Auch sein Betrieb hätte bei etwa 300 Mann Betriebsstärke eine Säbel rasselnde Kampfabteilung im Betrieb führen müssen.

Er schaffte es aber, sich diese uniformierten, scharfbewaffneten “Hobbykrieger” vom Hals zu halten. Die Plastopack-Kämpfer mussten im Druckguss- und Kolbenwerk Krieg spielen. Karl machte sich nur für den Zivilschutz (ZV, wie Zivilverteidigung) stark und wählte so das kleinere Übel, zumal es auch noch ein Rettungszug war. Vergleichbar dem heutigen THW. Eine Organisation die meines Erachtens durchaus Sinn machte.

Folglich war eine seiner ersten unvermittelten Fragen an mich, ob ich mir dort eine Mitarbeit vorstellen könnte. In der DDR war man immer am Kompromisse schließen, wollte man seine eingerichtete Privatnische erhalten oder gar ausbauen. Ich stimmte folglich, ähnlich “freudig” wie beim SED-Beitritt, zu.

Hier bei Plastopack unterstanden mir neben meiner eigentlichen Arbeit noch etwa 10 Betriebshandwerker. Meine Hauptaufgabe war jedoch die Betreuung und Anleitung von Fremd-Baufirmen, die im Betriebsgelände ununterbrochen unterschiedlichste Bauvorhaben realisierten. Das markanteste Bauwerk ist der in den 1980-er Jahren entstandene 60-Meter-Ortbeton-Schornstein, der noch heute als Funkturm dient. (Ist heute das einzige Bauwerk, welches ordentlich aussieht.) Ebenso begleitete ich mitverantwortlich die Gebäudeinstandhaltung. Angenehm empfand ich, dass ich grundsätzlich operativ eingesetzt war, die ganze Schreibtischarbeit oblag meinem Kollegen, dem Investleiter, meinem fachlich Vorgesetzten.

ZV+Fahne

Für mich war der Umstand, dass ich das einzige SED-Mitglied in der etwa 25- bis 30-köpfigen Truppe der Zivilverteidigung war, bald von größtem Nachteil. Als der stellvertretende Zugführer urplötzlich wegen kleinlicher Querelen den Betrieb wechselte, ereilte mich das Schicksal, wie an einem Freitag, dem 13. …

Ab sofort oblag mir dieses lästige Amt. Ich spielte neben dem Zugführer H. R. nun unfreiwillig die 2. Geige. Hatte hin und wieder auch Schulungen, zum Beispiel das Retten aus Höhen oder aber das richtige Verknoten der Rettungsseile zu vermitteln.

Da R. dienstgeil bei einem Appell alle Meldungen an den ZV-Kreisstab selbst vollziehen wollte, und niemand sich freiwillig fand, an seiner Stelle die rote, gelbbefranste “Truppenfahne” durch die Gegend zu schleppen, oblag das nun mir, dem “roten Genossen” Zottmann.

Da kam mir meine “Karsei-Kappe” in den Sinn … Ich habe mich geschämt, geschämt, geschämt! Wir sind zwar nur 50 m durch den Betrieb gelaufen, aber es war weit und schlimm genug!

H. R., seines Zeichens für die Qualitätssicherung im Betrieb verantwortlich, füllte seine Zugführerrolle mit ganzer Hingabe aus. Ich bin aber nie ganz schlau aus ihm geworden. Der stellte oft so blöde, politisch provokante Fragen, dass ich nicht weiß, ob er mich testen oder festnageln wollte oder ob er gar ein Stasizuträger war oder mich dafür hielt. Ich habe es nie ergründen können. Ihn umschlich stets mein Misstrauen. Er verlangte von mir, ich solle der “Motor” sein, im politischen Sinne, sein Zugpferd … Da hatte er aber auf den falschen Gaul gesetzt …

Vielleicht aber waren unsere gegenseitigen “Verdächtigungen” grundlos, ich will es hoffen. Wir gerieten oft aneinander, können uns heute noch nicht ausstehen, zumindest ich aber mache heute ein freundliches Gesicht. Oh, wenn der wüsste …

Für seine geliebte ZV fertigte er in der Tischlerei tagelang Gestelle, an welchen er seine Foto-Schautafeln befestigen wollte. Die Tischler regten dessen ewig dort im Wege stehenden Holzteile mächtig auf …

Nur zwei Mann waren eingeweiht und hielten später auch die Klappe, als ich mit dem Bau-Multicar vorfuhr und bei “reiner Luft” den ganzen Mist ihnen zur Freude auflud und zu uns nach Hause fuhr. Jetzt hatte ich Holz und die wieder Platz in ihrer Werkstatt.

Es war sicher schon im März 1983, denn Oma Wolf war gerade am Valentinstag verstorben. Ich hatte jetzt zum Umbauen des Hauses freie Hand und da kamen mir die ZV-Gestelle und weitere Holzleisten gerade zur rechten Zeit. Denn auch Bauholz gab es nie, war Mangelware. Ich habe alles passend auf Länge zugeschnitten, den Rest verbrannt; und fortan hatten Zottmanns den Unterbau für einen neuen Flurkleiderschrank und ein paar Tage eine warme Stube. Ein Anderer aber hat gesucht wie ein Weltmeister … Wie heißt es doch im Märchen? Und wenn er nicht gestorben ist, dann sucht er noch heute!

Kollege R. wusste nach seinem erfolglosen Suchen nun nicht, wie er seine vielen ZV-Fotos präsentieren sollte. Da gab ihm unser Kollege Rudi, der auch oft in der Tischlerei “rumschlich”, einen praktikablen Tipp: Er solle doch alle Bilder auf ein Schnapprollo kleben, dann brauche er bei Bedarf nur an der Strippe ziehen …

Fand H. nicht lustig, der war stinkig!

Einige Male “durften” auch wir Zivilschutzleute unser Können an freien Wochenendtagen unter Beweis stellen. So führte uns ein “Atomalarm” nach Thale ans alte Wendhusen-Kloster. Hier sollten Verstrahlte gerettet werden. Soweit der kluge Plan.

Wir hatten die Übung gemeinsam mit den “VEB-Ostharz-Elektrikern” aus Harzgerode durchzuführen. Diese hatten aktuelle Tageszeitungen und eine Holzplatte mitgebracht. Wir wurden ernsthaft von deren Kommandeur Günter D. aufgefordert, zuerst eine tagesaktuelle Zeitungsschau durchzuführen, dann Bilder auszuschneiden um damit eine Wandzeitung zu gestalten. (Als erwachsener Mann in meiner kostbaren Freizeit!)

Aber nicht mit mir! Ich kann auch Sachen ernst nehmen …!

“Da schreien Verstrahlte nach ihrer Rettung und ihr wollt eine Wandzeitung basteln? Seid wohl nicht gescheit, habt wohl selbst schon zu viel Strahlung abbekommen!”

Es wurde nach meinem Einspruch vor Empörung noch lauter gebrüllt, denn wir wurden ja von Schiedsrichtern (SED) beäugt. Die erwarteten sicher eine Wandzeitung. Das hat mich aber nicht im geringsten gekümmert, ich habe jedenfalls solchen hirnrissigen Quatsch nicht mitgemacht …

(Spätestens hier wäre mal ein Blick in meine unauffindbare Stasiakte aufschlussreich.)

Gasmaske

Bei einem anderen Übungsausflug waren wir an der Maßmühle bei Weddersleben. Hier brachten zwei andere Akteure alles durcheinander: Und dann gab’s noch eine Wunderheilung.

Die ZV meines ehemaligen Betriebes, des WBK, hatte Pontons über die flache “Bode” gebaut. Wir hatten Verletzte mit Knochenbrüchen zu bergen, ebenso Verstrahlte, denn etwas Atomkrieg fand bei jeder Übung statt. Bergung unter erschwerten Bedingungen hieß, mit Gasmaske die Opfer zu retten. Die vermeintlichen Opfer waren junge Studentinnen vom Quedlinburger IFL (Institut für Lehrerbildung). Die waren täuschend echt von Maskenbildnern des Theaters präpariert worden. So mussten nun unter Gasmasken die Harzgeröder Retter namens W. und K. einen weiblichen Oberschenkelbruch, mit “schön” herausragenden Knochenfragmenten, über die “Bode” schleppen. Das war ihnen wohl zu schwer, denn einer von beiden beugte sich nach erfolgreicher Bode-Überquerung über das “Opfer”und fragte das junge schüchterne Mädchen unvermittelt ganz kurz und dreist aus seiner hässlichen Gasmaske heraus: “Schon mal gefickt?”

Der armen Jungfrau ging’s, wie damals meiner Russischlehrerin. Auch sie schien von einem Insekt gestochen zu sein, sprang auf, rannte empört weg – und war geheilt … Sie brauchte also nicht mehr zum Bergezelt geschleppt zu werden!

Diese schöne Situationskomik (trotz der bösen Worte) - und nur ich konnte sie genießen. Wegen ihrer Gasmasken konnten die beiden Übeltäter nie ermittelt werden. Dass ich als stiller Beobachter daneben stand, ohne Maske, und zu denen gehörte, wusste ja keiner, und im Zweifel hätte ich die auch garantiert nicht erkannt …

Ich selbst habe niemals wieder nach meiner NVA-Zeit eine Maske getragen, habe mich stets geweigert. Da schob ich recht glaubhaft immer meinen 1966 erlittenen Spontan-Pneu vor und behauptete, auch bei der NVA befreit gewesen zu sein …

Die sollten froh sein, dass ich überhaupt mitmachte!

Oft wurde aber auch im VEB Plastopack normal gearbeitet, eigentlich meistens. Eine wunderbare Arbeitsatmosphäre beherrschte hier die Arbeitstage. Unser Büro schloss sich der Lohnbuchhaltung an. Dieses tolle Miteinander hielt sich für mich volle 6 Jahre bis ins Jahr 1983. Ich erinnere mich nur all zu gern an die mehrmaligen täglichen Kaffeerunden in der Lohnbuchhaltung und Susannes starken Kaffee!

Zwei Büros voller Süchtiger!

Eine Kaffee-Plantage hat wohl in Lateinamerika nur für uns gearbeitet … ;)

Danke liebe Latinos und Plantagenbesitzer!