Ab Herbst 1974 bekam ich dann nach bestandener Meister-Prüfung endlich meinen eigenen Meisterbereich auf der Industriebaustelle Silberhütte zugewiesen. Dem zuvor stand aber noch ein gewichtiges Kadergespräch …

Mein gesamtes Personalgespräch war bereits auf Papier vorgefertigt. Bevor überhaupt etwas besprochen wurde, war schon das Protokoll gefertigt!

Ebenso wie sonst bei unseren Wahlen. Oder bei den Urteilen in den politischen Schauprozessen unter der berüchtigten obersten DDR-Richterin Hilde Benjamin.

Da standen die Todesurteile auch schon vor Prozessbeginn fest! Vom ZK und Mielke vorgegeben. Ungeheuerlich!

Ich wurde im folgenden Gespräch gedrängt, sofort zu unterschreiben, sollte umgehend “freiwillig” Mitglied der Betriebs-Kampfgruppe werden. Das war pure Nötigung. Es waren die gleichen nachgewiesenen Betrugsmanöver wie bei der 15 Jahre später von Egon Krenz geleiteten Kommunal-Wahl 1989. Das empfand ich als infam, das war eine bodenlose Dreistigkeit. Doch die eine von nur drei offenen Planstellen wollte ich unbedingt besetzen. Wir waren aber 7 frisch gebackene Meister im WBK. Vier Leute würden also leer ausgehen. Sie würden erst nach langen Warteschleifen oder durch Betriebswechsel eine Planstelle erhalten. Was tun?

2 Planstellen waren bereits unabdingbar vergeben. Friedrich F. und Klaus S. standen diese zu. Das akzeptierten wir alle. Die beiden frisch gebackenen Meister wurden Technologen, denn körperlich konnten sie nach ihrem 1970 erlittenen Arbeitsunfall nie mehr tätig sein. (1970 stürzte eine noch im Bau befindliche Stahlskelett-Halle im Eisen-und Hüttenwerk Thale wegen statischer Fehlberechnungen ein. 2 Kollegen starben und 3 weitere wurden schwerst verletzt, als sie während der Dachmontage etwa 20 Meter mit allen darauf befindlichen schweren Betondeckenteilen und Arbeitsgeräten in die Tiefe stürzten. Die Halle war unter ihren Füßen kreisförmig drehend zusammengebrochen. So zog sich Montagebrigadier “Charly” S. etliche Knochen-und Wirbelbrüche und einen für immer verkrüppelten rechten Arm zu. Lehrling Friedrich F. hatte mehrere Wirbelbrüche erlitten. Ein zweiter schwerst verletzter Lehrling wurde trotz seiner Wirbelfrakturen später Dumperfahrer. Er schlug den ihm angebotenen Meisterlehrgang aus.

SED-Abzeichen

Das dreiste Ansinnen beim Kadergespräch habe ich dennoch rigoros zurückgewiesen, aber dann zugestimmt, statt dessen in die SED einzutreten. Auch “freiwillig”. Das war für mich eine simple betriebswirtschaftliche Rechnung:

640 Mark betrug mein bisheriges Gehalt. Mit der neuen Planstelle wären es 760 Mark.

Der Monatsbeitrag der SED betrug 3 Mark in dieser Gehaltsgruppe. Also hatte ich eine Brutto-Lohnerhöhung von 117 Mark zu erwarten.

Zähneknirschend habe ich zugestimmt, diesem Verein beizutreten, machte allerdings zur Bedingung, erst 1975 deren Reihen zu füllen, wenn ich denn die Planstelle wirklich bekäme. Ich habe denen nicht getraut. Das hier war mehr als ein Kuhhandel. Das höhere Gehalt bekam ich dann wirklich ab sofort.

Einen Tag vor meinem Geburtstag, ein halbes Jahr später, schnappte die selbst gestellte Falle zu! Ab 26.04.1975 war ich Kandidat, ein Jahr später Mitglied der SED. Eine Farce. Da gab es dann maximal eine Versammlung im Monat, als Pflichtveranstaltung, der aber die meisten SED-Mitglieder im WBK nie folgten, da sie ja auf ihren Baustellen “unabkömmlich” waren … Sonst nichts! Im WBK war die SED ein reiner Kasperverein.

Wehrpaß

Genau einen Monat zuvor wurde ich am 26.03.1975 ins Wehrkreiskommando beordert. Wiedermal bekam ich einen neuen Wehrpass. Warum? Beim Anblick des neuen war mir nicht wohl. Der hatte neben einem zivilen Lichtbild ein separates Fach für meine Erkennungsmarke. Nun besaß auch ich erstmals diese Hundemarke, so wie sie mein Vater unter Hitler schon tragen musste. Diese zweigeteilte, deren eine Hälfte beim toten Soldaten verbleibt …

Rechneten die Oberen schon wieder mit Krieg? Aus eigenem Erleben weiß ich, dass einige Offiziere gar damit liebäugelten. Verheerende Vorstellung.

Mein Schwiegervater hatte Reimonde und mich schon zuvor sehr bald gemahnt, dort wo auch er einst aus tiefster Überzeugung Mitglied wurde, niemals einzutreten.

Er hatte bereits erkannt, dass dort in der SED nicht mehr die hehren Ziele, wie nach dem 2. Weltkrieg verlautend, verfolgt werden. Es war nicht mehr seine Partei, an die auch er einmal innigst glaubte! Er konnte sich nicht mehr damit identifizieren.

Doch seine Einsicht half mir nicht, ich war nun ein weiterer Mitläufer und hatte meine Planstelle und gleichzeitig meine Ruhe!

So wie ich haben in etwa 1,7 Millionen Mitläufer das DDR-Lügengespinst mit am Leben gehalten. Auch ich trage eine Mitschuld, wenn auch nur eine ganz kleine. Aber das ist kein Trost, denn das sagen ja alle, wenn überhaupt!

Im Jahr 1976 ließ die Oma Wolf das Wohnhaus glücklicher Weise, wie sich später noch herausstellen sollte, notariell auf Reimonde überschreiben. Ich aber blieb vorerst weiter der immobilienlose und preisgünstige Haushandwerker.

Mitte der 70-er Jahre durfte mein invalidisierter Vater dann allein für ein viertel Jahr nach Kanada fliegen. Das war der einzig schöne Aspekt seiner Verrentung. Für ihn erfüllte sich ein langer Traum … Als er wiederkam hingen wir monatelang an seinen Lippen. Er hatte die Welt gesehen …

Bis 1977 blieb ich noch in meinem Baubetrieb und leitete 1976 den Ausbau im Wohnungsbau “Röderwiese” in Harzgerode und war anschließend in der Mooskammer bei Lengefeld, kurz vor Sangerhausen beim Bau eines weiteren Post- und Fernmelde-Dienstgebäudes beteiligt, doch diesmal nicht als Lehrling, sondern in der Bauleitung.

Hier auf der Baustelle, auf dem bewaldeten Höhenzug, belegte die Deutsche Post und die Staatssicherheit allein eine ganze Baubaracke. Die Stasi überwachte zeitgleich von hier aus die Atomraketensilo-Baustelle in Dietersdorf. Dort wurden wegen der Geheimhaltungsstufen gewachsene Baubrigaden auseinander gerissen. Hinter jedem Bauarbeiter stand ein vollbewaffneter NVA-Soldat mit durchgeladener Maschinenpistole. Diese Arbeitsweisen und Rüstungsbaustellen hatte ich gründlich satt!

Mein ehemaliger Lehr-Obermeister Alwin Severin war inzwischen mein WBK-Betriebsleiter geworden und ausgerechnet ihm, der mich 11 Jahre zuvor im Betrieb aufnahm, musste ich nun meine Wechsel-Absicht verkünden.

Alwin war nicht begeistert, den habe ich enttäuscht. Vom Technologen Klaus G. aus Ballenstedt wurde ich sogar als “Fahnenflüchtiger” übelst öffentlich und lautstark beschimpft. Für sentimentale Rücksichtnahme meinerseits hatte ich derzeit jedoch kein Verständnis. Für mich galt wieder einmal: Augen zu und durch!