Wir bekamen so manches Werbegeschenk aus Baden-Württemberg. Dort wohnte ein Neffe vom August Wolf, der auch viele Male bei uns Besuche machte. Danke Landarzt Dr. med. Helmut D.. (Er wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden – geboren am 10.10.1910.)

Dr. D. und seine Frau sowie Tochter besuchten Harzgerode schon immer.

Schon in seiner Kindheit besuchte Helmut seinen Onkel in den Ferien. Nach dessen Freitod hielt er dennoch an Harzgerode fest und besuchte weiterhin regelmäßig die angeheiratete Tante. Das hielt auch so an, als wir schon das Haus bevölkerten. D’s sahen fortan so etwas wie eigene “Kinder” in uns. Sie unterstützten uns über all die Jahre der Entbehrungen, denn sie freuten sich, dass wir uns seiner Tante annahmen … Selbst später noch nach Elise Wolfs Tod.

Ob Backzutaten oder Kaffee, wir litten keinen Mangel. Bevor Kaffee-Vorräte verbraucht waren, war der Dr. wieder persönlich vor Ort oder die Post tat ein Übriges. D’s brachten gar 12 m² grüne Fliesen samt Mörtel für unser Bad über die Grenze.

Hausbuch

Beschwerlich war, dass der Besuch aus dem Westen sich bei jeder Ankunft und nochmals bei der Abreise am Wochenende im Polizeikreisamt in Quedlinburg an- und abmelden musste. Ostdeutscher Besuch war dazu nur verpflichtet, wenn er länger blieb. Zusätzlich hatten auch wir ein Hausbuch zu führen, in welches sich jeder betreffende Besucher einzutragen hatte (nicht nur mit Adresse, sondern auch ausgeübte Tätigkeit).

Das wurde vom uniformierten Abschnittsbevollmächtigten (ABV oder Dorfpolizist) sporadisch überwacht.

Zu einem bevorstehenden Besuch warteten wir und warteten. Erst spät in tiefer Nacht kam ein “B1000” vorgefahren. D’s waren an Bord. Der Bäckermeister und der Bürgermeister aus G. brachten die beiden zu uns. Ihr “Audi 100” hatte gleich nach der Grenzquerung beschlossen zu streiken. Die Zylinderkopfdichtung war restlos hinüber. So wurden alle mitgebrachten Sachen umgeladen und die 2 Helfer wurden nach einer Tasse Kaffee und 300.- DM fürstlicher Entlohnung wieder verabschiedet.

Ich habe dann die folgenden Tage bei Plastopack nur noch telefoniert, denn private Anschlüsse waren kaum verfügbar. So wurde der einzige staatlich erlaubte Abschleppdienst, der bis an den 2., den westlichsten Schlagbaum fahren durfte, in Nordhausen ausfindig gemacht, der den Wagen an den Haken nehmen durfte.

Frau D. und ich fuhren mit unserem Skoda nach Nordhausen. Dort wechselte sie dann als Beifahrerin auf einen LKW “W-50”. Weiter ging es nach G.. Mit dem Audi am Haken ging es nun zur Grenze. In Ferna/Eichsfeld war am 1. Schlagbaum des Sperrgebietes für mich Endstation. Hier wartete ich etliche Stunden, bis der Audi am 2. Schlagbaum, an der wirklichen Grenze, von einer Duderstädter Werkstatt übernommen wurde.

Ich stand zwangsläufig stundenlang gelangweilt herum. Da kam ein Grenzoffizier, der augenscheinlich Feierabend zu haben schien geradewegs auf mich zu. Fragte mich in seiner Geltungssucht ruppig und strunzdumm: “Wieso stehen sie hier?”

Ich antwortete noch blöder: “Weil ich DDR-Bürger bin!” – Dieser dann: “Wieso!?”“Ich kann nur in der DDR stehen, wo sonst?”

Da hat das Rindvieh sich aufgeregt, den bekam ich gar nicht wieder ruhig. Nach einigem Palaver hatte aber auch er begriffen, dass, und vor allem warum ich wartete. Glück hatte ich, dass der mich nicht mitnahm, denn das wäre ja ohne Weiteres möglich gewesen …

Der “W-50” Abschleppwagen und Frau D. kamen nun zurück. Sie bezahlte sofort den Einsatz des Bergewagens in DM und dann fuhren wir beiden zurück nach Harzgerode. Ostgeld nahm der Kollege nicht, war als Bezahlung nicht vorgesehen!

Hier wartete inzwischen bereits auch die Tochter. Sie war extra aus Westberlin angereist und hatte schwarz 1:4 getauschte Ostmark in den Socken. D’s dachten anfangs, sie könnten ihre Ausgaben in Ostmark bestreiten, oder bekämen hier gar den Wagen repariert … Sie hatten ihre Tochter schon aus G. benachrichtigt. Nur hatten ihre Denkspiele die Gier der DDR-Oberen aufs Westgeld außer Acht gelassen.

“Was machen wir nun mit den 3.000 Ostmark?” fragte der Doktor. Denn sie wollten nicht riskieren das Geld nochmals illegal reisen zu lassen. Das war ja ein zu ahndender Devisenschmuggel. Darauf stand Haft!

Es fand sich dann eine praktikable Lösung, der wir nicht widersprachen.

Danke Familie D. …

Ein paar Tage später fuhren wir dann D’s nach Worbis. Hier fuhr ein Bus im kleinen Grenzverkehr täglich über die Grenze. Sie wollten zur Duderstädter Werkstatt, das Auto empfangen und heimreisen. Wir winkten noch einmal herzlich, dann waren sie entschwunden. Beim Einsteigen in unseren Skoda sahen wir schon, dass unserem Doktor das Hörgerät aus dem Ohr gefallen war. Das lag nun mutterseelenallein auf dem Beifahrersitz. Mit Vollgas versuchten wir dem Bus nachfahrend, diesen einzuholen. Wir sind bis an den 1. Schlagbaum in Ferna gebrettert. Doch der Bus war gerade durch. Nun einfach rein in die Höhle des Löwen! Wir sind wie selbstverständlich in die Baracke zum Wachhabenden gestürmt und haben schnell die Situation erklärt.

Die hätten nun nur am letzten Schlagbaum D’s bitten brauchen, einen Moment zu warten. Schon der nächste Ausreisende hätte das Hörgerät die paar Kilometer weiter übergeben können.

Hätte … Aber nicht in der DDR. Das war zu Kotzen!

Monate später gaben wir dann das Gerät meinem Onkel Otto, der zu Besuch weilte mit. Er schickte es dann drüben weiter …