Der zuvor beschriebene Gerbstedter Flohmarkt fand so gegen Ende 1983 statt.
Da kreuzte dort auf einem mal, nach vielen Jahren ohne jeden Kontakt, mein früherer Nachbar Andreas auf. Seine Begleiterin war seine Marlis. Sie haben dort auch noch einigen Hausrat aus ihrem “Golf I” heraus verscherbelt. Nach einem netten Gespräch haben wir Andreas verabschiedet und nie mehr wiedergesehen.
Wohl aber in der Neuzeit geschrieben. Er hat seine eigene Ausbürgerung beharrlich durchgezogen, trotz aller erlittenen Repressalien.
In solchen Fällen wurden in der DDR alle näheren Verwandten gleich mit in Sippenhaft genommen. Repressalien erlitten also immer auch unbeteiligte Angehörige. Und nicht nur die! So sind seine Eltern auch gleich mit ausgewandert.
Im Fall von Andreas wurde sein Nachbar vom Bornholzweg mehrmals vernommen. Ich weiß dies, weil Nachbar R.. mein Meisterkollege im WBK war und uns das unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit erzählte …
Diesem wurde nun nicht mehr gestattet, über das Wohnungsbaukombinat im Westen, in Lübeck, für Devisen Einfamilienhäuser des Typs “Aschersleben” mit zu errichten.
Andreas konnte nun aber ab 1984 seinen Berufswunsch doch noch verwirklichen. Andreas ist heute ein Verkehrspilot. Dieses Ziel hatte er sicher schon in DDR-Zeiten. Seit frühester Jugend verfolgte er dieses Ziel, erwarb alle möglichen Segelflug-Lizenzen auf dem Flugfeld Asmusstedt bei Ballenstedt und war später für den Einsatz in der NVA vorgesehen. Flieger hätte er bestimmt werden können, aber eben Kampfflieger. Und das lag ihm offensichtlich gar nicht …
Er liebt das Militär augenscheinlich genauso wie ich …
Mit meinem Schulkameraden Heinz durchlebte ich alle meine 9 Schuljahre gemeinsam. Er wohnte seit 1961 bei Pflegeeltern. Seine leiblichen Eltern, so wurde erzählt, bauten irgendwo im Westen eine neue Existenz auf, als sie Ulbrichts Mauerbau überraschte. Wie auch immer, ihren Sohn bekamen sie nicht mehr rüber.
Über seine gesamte Schulzeit schwärmte uns Heinz vor, dass er, so wie er 18 sei, in den Westen zu seinen Eltern könne. Da war sicher sein Wunsch der Vater des Gedanken. Heinz´ Mut aber habe ich bewundert. Als einer der Ersten verfügte er über ein Mini-Spulentonbandgerät, dass er, so wie wir die Radios, mit auf der Straße rumschleppte. Wir liefen da, sofern wir es uns haben ersparen können, mit Transistor-Kofferradios durch die Stadt. Die waren batteriebetrieben, Akkus und Ladegeräte waren da noch unvorstellbar.
Durch Quedlinburgs Innenstadt laufend spielte er zwischen den Musiktiteln Ulbrichts Lüge “Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen” in ordentlicher Lautstärke ab. Heinz ist dies bezüglich nie erwischt worden.
Er fand aber trotz Reiseverwehrung später, als er bereits Anfang 20 war, einen passablen Weg in den Westen: In Quedlinburg verliebte er sich in eine ausländische Studentin aus der medizinischen Fachschule. Nach der Hochzeit und mehreren Jahren des Wartens auf die Ausreisegenehmigung reiste dann Heinz aus. Sein derzeitiger Wohnort ist nahe Dortmund.
Dorthin ging es aber auf seltsamen Umwegen. Seine Ausreise ging offiziell, ich sage mal nach Kreta … Er hat somit die DDR um Jahre eher hinter sich lassen dürfen.
Ein Anderer, ich nenne ihn Lutz, reiste etliche Male vom Westen kommend in die DDR ein. Er hatte sich die Aufgabe auferlegt, eine Ausreisewillige zu ehelichen, um ihr auch zu ermöglichen, gefahrlos ins gelobte Land zu gelangen. Das war sehr edel und geschah zu Ende der 80-er Jahre. Lutz besuchte meistens seine Eisenberger Verwandten, um dann tags drauf in das Dorf X bei Oschersleben zu fahren. Hier gab es eine Bäckerei, gleichen Namens wie in Harzgerode. Die gingen sich aber nichts an. Die Tochter des Hauses war seine “Auserkorene”. Nach etlichen dortigen Besuchen und der Schein-Verlobung wurde geheiratet. Und erwartungsgemäß auch bald übergesiedelt. Wir lernten Lutz kennen, weil er zweimal mit D.´s Tochter bei uns “konspirativen” Halt einlegte und nicht in Eisenberg übernachtete. Sie war bereits mit ihren Eltern mehrmals unser Gast. Beide hatten zu uns volles Vertrauen, haben uns in Lutz’ens Pläne eingeweiht, die er auch zu 100 % umsetzte. Auch wir kannten nun einen Schleuser!
Ein Widerstandskämpfer war ich dennoch nicht!
Lutz Frau aber ist gleich, nach der sich bald für immer auflösenden Grenze, allein wieder zurückgezogen …
Wäre Lutz diese Scheinehe nachgewiesen worden, wäre er hier für Jahre wegen Menschenhandel weggeschlossen worden. Die selben Leute aber, die “Menschenhändler” einbuchteten, verkauften die zuvor Festgesetzten dann gegen viele zehntausende harte DM pro Einzelfall nach Jahren des eingekerkerten Wartens an die Bundesrepublik. Das war staatlicher Menschenhandel.
Kann ein System perfider sein?