Mit 59 Jahren Rückwärtsblick kann ich mir mein sich verschlechterndes schulisches Verhalten heute erklären. Mit meiner Frau und unter Mitwirkung unserer Tochter, einer diplomierten Sozialpädagogin, haben wir meinen frühkindlichen Lebenslauf zerpflückt.

Ich war aber nie auf der Couch eines Therapeuten, der Gang zum Psychologen hätte auch nur mein schönes Geld oder das meiner Krankenkasse gekostet, wäre wohl aber im Ergebnis sicher niemals so aufschlussreich gewesen …

Ich wusste durch mein bisheriges Erleben Einiges mehr als gleichaltrige andere Kinder. Gleichzeitig unterschied mich immer eine Sonderstellung, ich war schon mal im Westen, wir hatten ein halbes Auto, bereits einen Forum-Fernseher und machten jedes Jahr einen Urlaub in der DDR-“Ferne” … Das war keinesfalls selbstverständlich. Das war der Lohn für den Fleiß meiner Eltern.

Über weite Strecken hatte ich aber keinen richtigen Freund.

Meinen Schulkameraden Christian D., aus der Käthe-Kollwitz-Straße 17, hielt ich später aber für einen. In ihm hatte ich einen gefunden. Wir spielten oft im Laufe der 2. bis 5. Klasse zusammen, unternahmen beispielsweise waghalsige Ausflüge zur und auf der Moorberg-Schuttkuhle und suchten dort Gasmasken und verrostete Bajonette vom letzten Weltkrieg. Und wurden auch öfter fündig. Das waren begehrte Tauschobjekte …

Ich war nun fast täglich bei Kiki (Christian) zu Hause. Er durfte aber nie zu mir. Meine Mutter hat mir über alle Schuljahre jeden Besuch von Mitschülern oder Freunden zu Hause verboten. Grundlos, ohne ein Vorkommnis, das jenes Verbot begründet hätte.

Ich durfte niemals jemanden nach Hause, ohne ihre Aufsicht mitbringen. Meine Schwester später schon, eigentlich immer!

Kiki kam auch etwa 3 mal zu meiner Geburtstagsfeier. Ich hingegen durfte nie zu seinem Geburtstag am 25. Januar gehen. Denn am gleichen Tag hatte auch meine Schwester Geburtstag. Es wäre für meine Eltern, sprich meine Mutter, ein Klacks gewesen es zu erlauben, mich wenigstens kurzzeitig gehen zu lassen, denn seine Familie wohnten nur 4 Häuser entfernt. Es ging aber nicht, es sollte nicht sein!

Diktatorisch wurde verkündet: “Du feierst mit deiner Schwester!”

Das war für mich unverständlich und mehr als gemein. In dem Alter hinterfragte ja auch Christian mein Fernbleiben nicht weiter. Er registrierte nur, dass der Freund wiedermal fehlte …

Auch dadurch wurde ich nach und nach zum Außenseiter.

Etwa zu dieser Zeit wurde ich von meiner Mutter wissentlich erstmals direkt zum Lügen aufgefordert. Das sie für mich dadurch unglaubwürdig wurde, hat sie nicht bedacht.

Jedes Jahr wurde in der Schule unsere soziale Herkunft abgefragt. Immer und immer wieder. Ich bekam eingebleut, dass wir zu Hause eine Arbeiterfamilie seien. Doch das war schlichtweg gelogen. Meine soziale Herkunft war eindeutig “Angestellte”. Das hatte ich als Kind bereits begriffen.

Dies spiele keine Rolle, bestimmte meine Mutter. “Wenn dich wer fragt, sind wir Arbeiter! Punkt! Oma und Opa waren auch schon immer Arbeiter!” Zu denen wurde ich allerdings nicht befragt.

Erklären kann man das unmögliche Ansinnen allen nachfolgenden Generationen nur damit, dass eben in damaliger Zeit im “Arbeiter- und Bauernparadies” der Arbeiter formal am angesehensten war. Warum auch immer. Ich weiß es nicht!

Angestellte und Intelligenz waren offiziell zweitrangig. Und das meine ich mit krank!

Meine Mutter wollte offensichtlich auch vor ihrer Partei glänzen, mimte jetzt die Arbeiterin. Und brachte damit lieber den eigenen Sohn in Bedrängnis …

Wir beide hatten dadurch völlig unnötige Auseinandersetzungen, die meinerseits auch Sturheit beförderten. Der Staat “DDR” war nicht ganz sauber!

Wir waren Deutschlands Doofer Rest! Eben die DDR!

Ist nicht jeder Berufsstand wichtig? Intelligenz, wie Arbeiter, also auch Müllmann und Klofrau?

Wer sollte denn den ganzen Scheiß, den die neue “Intelligenz” verbockte, die sich nun zu allem Überfluss auch noch Arbeiter nannte, wegräumen? Andererseits brauchen nicht auch Arbeiter eine führende Elite, die Intelligenz? Es sollte doch bitte jeder Berufsstand respektiert werden …

Wozu also überhaupt die Abfrage nach der sozialen Herkunft? Wieso gerade in der DDR?

Strebte die nicht offiziell der klassenlosen Gesellschaft, dem Kommunismus entgegen?

Diese Fragen stellte ich mir zwangsweise tatsächlich schon in der besagten Schulzeit.

Es war wie in der Klapsmühle, darum wurde sicher auch ringsherum ein hoher Zaun gebaut …

So konnte zumindest dieser Blödsinn nicht in die Welt getragen werden.

Während der nun folgenden Schuljahre, etwa ab 4. Klasse, erlebte ich für mich, in unregelmäßigen Abständen, eine Unmenge von Demütigungen und Ungerechtigkeiten.