Großeltern Brunkau

Gern war ich während meiner Kinder- und Jugendjahre auch bei meinen Großeltern, den Eltern meiner Mutter. Sie wohnten praktischer Weise in ihrem 3-Morgen großen Garten in der Bornholzweg-Siedlung.

Oma verdingte sich in frühen Jahren bei “Mette und Dippe”, den örtlich führenden Saatgutbetrieben. Sie arbeitete dann über viele Jahre als Feinmechanikerin bei “Steinle und Hartung”, dem Vorläufer des späteren VEB Mertik im Klopstockweg.

Opa, ein KPD-Mann (Kommunistische Partei Deutschland), und früheres Mitglied im “Rotfrontkämpferbund”, war während des 2. Weltkrieges auf Grund dessen für wehrunwürdig gestempelt und arbeitete dadurch zwangsweise und von der “Gestapo” überwacht im Eisen- und Hüttenwerk in Thale an der Walzstraße in der Rüstungsproduktion.

Nach dem Krieg wurde er von den Russen, also den sowjetischen Truppen, die fortan in der DDR nur noch “Freunde” genannt wurden, vom Land- und Industriearbeiter schlagartig in den Polizeidienst als Polizeihauptkommissar gehoben und in der Folge bis zum Major befördert. Er war während meiner Kindheit noch aktiv im Staatssicherheits-Apparat eingebunden. Die Kreispolizeistelle hatte er in Quedlinburg, von der sowjetischen Kommandantur befohlen, mit aufgebaut und hat anschließend ab 1950 den neuen Sicherheitsdienst in Magdeburg mit aus der Taufe gehoben. Genaueres weiß ich aber nicht, denn es gab Bereiche in der Familie über denen Schweigen waberte. Und wer nichts weiß, kann nichts erzählen …

Meine Recherchen ergaben lediglich, dass mein Großvater bis 1952 zwei weitere Polizei-Dienststellen betreute, in Jessen und Schweinitz. Anschließend arbeitete er in der Quedlinburger Kreisdienststelle der Staatssicherheit bis in die 1960-er Jahre hinein, bis zur eigenen, frühzeitigen Pensionierung.

Bezeichnend, finde ich die Tatsache, dass in Quedlinburg in der Wendezeit 1989 ganze Arbeit von der Stasi geleistet wurde. Schredder und Öfen wurden im Schichtsystem beschickt. Es gibt, falls ich nicht doch nur zu dumm zum Nachforschen bin, über diese Dienststelle keine greifbaren Unterlagen.

Antrag Gauck

Ebenso versuchen wir seit es möglich ist, in unsere ganz persönlichen Stasiunterlagen Einsicht zu erhalten. Es wäre interessant, ohne jede Rachegelüste, zu erfahren, ob man sein damaliges Bauchgefühl gegenüber seinen Mitmenschen bestätigt bekommt.

Bedauerlicher Weise hat man aber bis heute keine uns bezüglichen Akten mehr finden können.

Obwohl wir mit diesen Dienststellen nie zu tun hatten, ist es aber auf Grund meiner Arbeit im WBK und bei Plastopack und der Arbeit meiner Frau bei der Stadt zwingend logisch, dass eine Akte existierte.

SED-Mitglieder wurden ohnehin immer beäugt und archiviert …

Unser Opa war aus meiner ganz persönlichen Sicht ein zutiefst überzeugter Kommunist. Er glaubte aus vollem Herzen leidenschaftlich bis an sein Lebensende im Jahre 1980 an den Sieg des Kommunismus. Ebenso, dass die Kommunisten doch noch alle Rechnen lernen, denn das ist nun mal die wichtigste Grundvoraussetzung um einen Staat zu führen, und er war sich sicher, dass zum Beispiel das Brot später überall kostenlos verteilt wird!

(Vaters Bruder Otto hingegen unterstellte immer, dass die Kommunisten nicht rechnen können, und dieses somit ihr eigenes Verderben sei. Seine These war wohl die der Wahrheit am nächsten kommende, denn der Untergang ihres Staates war größtenteils auf das Miss-Management der Riege Honecker zurückzuführen.)

Viel weiter erschöpften sich aber Opas diesbezüglichen “politischen” Gespräche mit mir nicht.

Kamelfelsen (Quelle)

Wichtiger waren für mich und unsere vielen Cousinen und Cousins der Obst-Reichtum im “Schlaraffenland Bornholzweg” und Opas großes Wissen, was die ihn umgebende Natur betraf. Dümmer ist bei ihm kein Enkel geworden.

Wir haben dort beispielsweise wunderschöne Osterfeste gefeiert. Sind in Richtung Westerhausen gewandert und haben am sandsteinigen “Kamel”-Felsen unsere zuvor gefundenen Ostereier den Berg hinab trudeln lassen. An der Festtafel haben wir anschließend auch etliche Hähnchen, Kaninchen und Tauben, die unsere Oma zwischenzeitlich zubereitete, verspeist.

Hamster (Quelle)

Ich erinnere mich auch noch an einige Kartoffelkäfer-Plagen und hunderte von Feldhamstern, die Opas Korn fraßen. Letzteren stellte Opa damals auf seinem Acker mit Draht-Fallen nach. Die Hamster wurden dann gehäutet, ausgenommen, gekocht und den Hühnern kleingehackt serviert …

An manchen Tagen lief ich mit über den Stoppelacker und da wurden auch schon mal mehr als 50 Hamster am Tag gefangen und etliche Kilo Getreide aus den Hamsterbauen gegraben. Heute sind das diesbezüglich unvorstellbare Größenordnungen!

Ich durfte so manches getrocknete Fell, auch das von den Kaninchen, zur Aufbesserung meines eigenen Taschengeldes mitnehmen und bei der Aufkaufstelle Firma Weiss im Klink verkaufen. Hamsterfelle brachten als Sommerfell gerade mal 3 Pfennige und als dichtes Winterfell 50 Pfennige.

Lohnenswerter waren Kaninchenfelle, wurden besser bezahlt. Die brachten zwischen 1 und 2 Mark. Zusätzlich gab es für die Kaninchenfelle Bezugsscheine für Körnerfutter. Auch das war ja damals streng kontingentiert.

Nicht nur die Hühner, ja auch wir haben zu Familienfeiern Hamster bis zum Abwinken gefuttert. Allerdings nicht so klein gehackt wie für die Hühner! Die waren dann von Oma Lieschen lecker zubereitet. Auch wenn nun die “Grünen” rebellieren: Feldhamster schmecken vorzüglich!

Wappen

Hier im Garten spielten und tobten alle Kinder vom “Großclan derer von Brunkau” und aller Angeheirateten und Zugelaufenen …

Judith, Mutters jüngste Schwester, meine gerade mal 5 Jahre ältere Tante, verstand es prima, uns Kleineren das Fürchten zu lehren. Hier wurden ihrerseits furchtsame Spiele mit uns, ihren Nichten und Neffen, veranstaltet. Im dunklen Keller wurde uns eine Gruselgeschichte nach der anderen erzählt. Und dann mit den Worten “Erschreck dich nicht!” im Stockfinstern in unsere Rippen gegriffen. Obwohl meine Hosen trocken blieben, war es schauerlich!

Auch diese, meine jüngste Tante “Baronesse Judith”, das ritterbürgerliche Burgfräulein, hat wohl unbewusst einige adlige Gene aus der Brunkau’schen Zeit der eigenen Burgen und Großgrundbesitzungen mit in die Neuzeit hinüber gerettet. Vielleicht die Gene der Kerkermeister? ;)

Interessant ist die Tatsache, dass alle Brunkaus einem der ältesten deutschen Adelsgeschlechter in gerader Linie entstammen. Der Erste Brunkau war ein Henning, der von Heinrich I., dem Finckler, im Jahr 921 geadelt wurde und zum Ritter Henning, Reichsfreiherr Edler von Brunkau geschlagen wurde. Die gerade erbaute Burg Brunkau und die ihr gegenüberstehende Burg Wartenberg bekam er vom ersten deutschen König geschenkt, für seine ritterlichen Verdienste bei der Vertreibung der heidnischen Wenden aus der Altmark. Hier war Heinrich I. gerade mit Siedlungsgründungen im Umfeld des heutigen Stendals beschäftigt. Henning hielt ihm während dessen sozusagen den Rücken frei. Spuren finden sich allerwärts in der Altmark, in ganz Sachsen-Anhalt sowie in weiten Teilen Westfalens. Das Dorf Brunkau existiert heute noch.

Als Dorf “Steinedal” wurde Stendal selbst erstmals 101 Jahre später im Jahr 1022 als Besitzung des Michaelisklosters im Bistum Hildesheim genannt. Die Freiherren von Brunkau waren Ritter, Ratsherren, Vögte, Großgrundbesitzer und sogar, wie die Ursel, Edle von Brunkau, in Klöstern wie Hadmersleben, als Äbtissin tätig.

Was aber wäre wohl gewesen, wenn der 30-jährige Krieg, der der Familie von Brunkau stark zusetzte, nie stattgefunden hätte? Der Westfälische Frieden hat den Freiherren von Brunkau nämlich schon nichts mehr genutzt.

Dann wären vielleicht alle Besitzungen noch vorhanden und die Burgen Wartenberg und Brunkau nie geschleift worden. Dann hätten sicher einige verarmte Vorfahren nicht Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika auswandern brauchen …

Ob dann aber mein Opa, als “hauptberuflicher” Freiherr von Brunkau, wohl auch Kommunist geworden wäre? Und was hätte meine Mutter, die Freiin von Brunkau wohl für eine Rolle gespielt?

Beide verkörperten dann wohl auch lieber die Adelsfamilie derer von Brunkau … hätte nur nicht ihr Urahn den Adelstitel wegen eigener Verarmung abgelegt …

Eine lückenlose Kopie der Ahnenreihe ist in meinem Besitz und jederzeit einseh- und nachprüfbar.

Faszinierend ist aber solch ein Rückblick, denn welche deutsche Familie kann schon auf einen Stammbaum von 1089 Jahren verweisen? (Stand anno 2010)

Das aber soll mein einziger “großer” geschichtlicher Familien-Rückblick sein, denn väterlicherseits waren die Lebensumstände der Altvorderen nicht so berauschend. Irgend wer musste ja auch arbeiten … ;)