Beatles (Quelle)

Nun begannen im 8. Schuljahr unsere Jugendstunden, wöchentlich eine.

Die englische Band “The Beatles” hatten sich gerade selbst erfunden. Gern, zu gern hätte auch ich wie manch anderer Junge die Haare etwas länger getragen. Nur etwas länger, eben so wie die Beatles.

Doch in regelmäßiger Folge hatte ich mich bei Friseurmeister Zimmermann in der Stresemannstraße einzufinden. Dummerweise musste ich meist montags dort erscheinen. Das war dann immer mit ewiger unerträglicher Warterei verbunden. Er und sein Geselle, Herr Schams, schafften höchstens je 1 bis 2 Männer in der Stunde. (Die konnten sich bei ihrem kläglichen Stundenverdienst nur durch die staatlichen Subventionen halten).

Münze 1 Mark

Dort wurde grundsätzlich über die Wochenend-Fußballergebnisse gefachsimpelt. Sie waren dabei stets besser als ihre Quedlinburger Fußballer selbst.

Kam ein neuer Kunde in den Laden, wurde der gleich ins Gespräch einbezogen und noch vor uns Kindern abgefertigt. Wir Kinder hatten zu warten. Auch halb geschoren stellte einen der Meister mit samt dem Kinderstuhl in die Ecke, um wichtigere Kunden uns vorzuziehen. Das ging mir mit damals 1,50 m Körperlänge noch als 13-Jähriger so. Und als Dank fürs lange Warten bekam ich immer den Fasson-Kopf verpasst. Für eine ganze Mark.

Als ich knapp 14 war, kam der Rundschnitt in Mode. Auf mein Verlangen, diesen Schnitt zu erhalten, meinte Meister Zimmermann, er könne nur den Einheitsschnitt und darum solle ich mir gefälligst einen neuen Friseur suchen. Das war seine Kundenpflege …

Ab nun wurde mein Haupt am Bahnhof geschoren, für 1,35 Mark, aber als top aktueller Rundschnitt mit ausrasiertem Hals. Seit dem weiß ich, warum manche Bahnhöfe Haupt-Bahnhof heißen, da ist dann immer ein Friseur mit eingebunden …

Doch ich wollte ja eigentlich von den Jugendstunden berichten. Dort wurden wir umfassend auf unsere “sozialistische Konfirmation”, die Jugendweihe vorbereitet. Das Schönste daran war die Vorfreude. Wir würden bald Unmengen von Geschenken bekommen und gehörten fortan zum Theaterring. Durften also abends in die “Minna von Barnhelm”, “Die Gewehre der Frau Carrar”, sahen auch Brechts “Mutter Courage” und andere proletarische Theatergestalten im Volks-Lichtspiel-Theater am Schillingsberg in Quedlinburg. Das alles war für mich und wohl die meisten anderen Mitschüler eigentlich uninteressant.

Wichtiger war beispielsweise, dass Herbert und ich auf dem Hinweg im “Braunen Ross” im Neuen Weg schon Bier bekamen. Das Glas für 48 Pfennige.

Da war ich 13, knapp 14 Jahre alt und der Wirt hatte wohl sehr schlechte Augen oder sein Plansoll noch nicht erfüllt. Danach wurde im Theater etwas zugeschaut und oft geschlafen. Doch anschließend war auch ich wieder hellwach. Wir Jungen gingen jetzt getrennte Wege, denn nun wurden die schönsten Mädchen nach Hause gebracht.

(Die hässlichen liefen sicher allein … ;))

Trabant 600

Auf solch einem Heimweg hat mich Renate verführt, allerdings nur zum Rauchen. Sie spendierte eine Zigarette. Das Ding, ich meine die Zigarette, brannte gerade, da kam ein mir bekannter Trabant an der Metallwaren-Fabrik Union über die Bahngleise geknattert. Ich bin unter Renates Mantel gekrochen, wurde aber trotzdem von meinen Eltern entdeckt. Fürchterlich, es bestand kein Vertrauen, ich fühlte mich immer kontrolliert oder überwacht! Wir “durften” dann beide auf die hinteren Sitze krabbeln. Nun wurde Renate nach Hause gefahren. Lächerlich! Nur um die Ecke in den Rambergweg, keine 200 Meter weit. Meine Eltern hätten vor dem Einsteigen besser mal fragen sollen, wo Renate denn wohnt.

Ich hielt wegen meines Zigarettengestanks jedoch die Luft an, wollte mich nicht verraten. Doch Renate gackerte auf ihre liebe laute Art. Meine Eltern haben den Zigarettengestank garantiert gerochen, doch das war momentan unwichtig. Hier sollte wesentlich Schlimmeres verhindert werden …

Renate wurde von mir und meinen Eltern verabschiedet und uns somit ein schöner Tagesausklang vermiest. Wer weiß, wie der Tag geendet hätte, ich hatte ja keinerlei Erfahrung mit Mädchen, außer dass ich nun schon ansatzweise wusste, was ein Puff ist. ;)

Obwohl ich es an diesem Abend nie vor hatte, sollte sicherlich verhindert werden, dass ich mich entblöße. Dabei hätte sich Renate sicherlich die Augen gerieben und bestimmt über meine Hose kaputtgelacht …

Mein Hosenschlitz war nämlich auch seitlich angebracht. Zum Theaterbesuch bekam ich eine Mädchenhose (!) verpasst, weil die “so schön” zu meinem braunen “Affenhaut”-Oberteil passte (Zuschnitt wie ein spitz ausgeschnittener Pullover, sah aus wie Velourleder war aber aus Stoff).

Da während unserer Jugendweihe-Zeit schwarze, ganz spitze Schuhe mit Stahlhacke absolut modern waren und schon viele Mitschüler solche besaßen, bekam ich rechtzeitig bequeme, aber braune abgerundete Schuhe verpasst.

Ich war immer anders, es lag aber oft nicht an mir …

Gelöbnis
"Weltall, Erde, Mensch"-Buch, Gelöbnis

Unsere Jugendweihe fand im März 1965 statt, da war ich immer noch 13 Jahre alt und als Einziger und Jüngster meiner Schulklasse immer noch Thälmann-Pionier.

Wir versammelten uns im “Kaiserhof”, der damals noch “X. Jahrestag” hieß. Hier fand unsere Feierstunde statt; nach einigen sozialistischen Reden traten wir in kleinen Gruppen auf die Bühne, nachdem wir zuvor unser auswendig gelerntes sozialistisches Gelöbnis aufgesagt hatten. Das wurde lange und oft geprobt.

Jeder bekam nun Blümchen, eine Urkunde und das Buch “Weltall, Erde, Mensch”.

(Das ist eine interessante utopische Enzyklopädie, die unter anderem auch die nie existierende sozialistische Menschheit nach dem Jahr 2000 beschreibt. Wenn meine Erben das Buch pfleglich behandeln, kann es noch in 100 Jahren Zeugnis vom falschen Glauben geben.)

Dann kam Foto-Rabener und machte von uns allen Gruppen- und Einzelfotos.

Weil meine Jugendweihe etwas ganz besonderes sein sollte, wurden alle Verwandten auf’s Schloss Quedlinburg eingeladen. Hier im Aurora-Zimmer bekam ich weitere Geschenke und einiges Geld in die Hand gedrückt. Ich bekam so 245,- Mark zusammen, 50,- Mark allein von Tante Elli und Onkel Rolf. Und hatte nun die Möglichkeit ein neues schönes Fahrrad zu erwerben.

200,- Mark zahlte ich und die Differenz zum Kaufpreis bestritten meine Eltern. Ich kam ihnen dabei sehr entgegen, denn ich wollte nur ein einfaches Diamant-Fahrrad mit lackierten Schutzblechen. Kostete ganze 240,- Mark. Die glänzende Aluminium- Ausführung, die sie favorisierten, gefiel mir nicht und wäre sie obendrein auch wesentlich teurer gekommen.

Dennoch merkte ich Wochen oder Monate später, dass das Geld der Familienkasse offensichtlich trotzdem noch zu knapp bemessen war. So bin ich der Einzige unserer Klasse, der bis heute kein einziges Jugendweihe-Foto besitzt. Ob sie hier wieder bewusst sparten oder schlichtweg nur vergaßen Fotos zu bestellen, ich konnte es nie ergründen …

KZ Buchenwald (Quelle)

Als “krönenden” Abschluss führte uns unsere geschichtspolitische Jugendweihe-Klassenfahrt auf den Ettersberg bei Weimar. Hier mussten wir uns das Konzentrationslager Buchenwald mit all seinen faschistischen Schrecken und nationalsozialistischen Abscheulichkeiten ansehen. Es hätte für uns sicherlich schönere Ziele gegeben, beispielsweise Weimar.

Grundsätzlich finde ich solche Gedenkstätten-Besuche für Schüler aber sinnvoll, schon, damit sich das Gesehene im Bewusstsein fest verankert und sich solche grauenvolle Leidenszeit nie wiederholt. Aber wir 14-Jährigen waren definitiv zu jung dafür. Viele, auch ich, damals noch zu unreif, um die ganze Tragweite momentan zu begreifen, das Leid der zehntausenden Häftlinge zu verinnerlichen.

Diese Pflichtprogramme sollten erst später, so ab 16 Jahren, absolviert werden.