Ums Jahr 1965 fallen wohl auch eine ganze Reihe Episoden, die mir so noch erinnerlich sind.
In selbstverordneten Freistunden, in der die gesamte Klasse die Schule schwänzte, machten wir oft den Bismarckhain, der in späteren DDR-Zeiten in Johannishain umbenannt wurde, unsicher. Hier absolvierten wir unsere ersten Raucherstunden.
Meine Parallelklasse veranstaltete hier sogar erste sexuelle Kontakte, nach dem Zufallsprinzip. Wohlgemerkt öffentlich!
Die Probanden wurden mittels Flaschenkreiseln ausgelost. Raus kam die ganze Angelegenheit, weil ein Schüler-Vater zeitgleich durch den Park spazierte und seinen Sohn bei “unzüchtigen” Handlungen in flagranti erwischte …
Der Schüler hat heute noch eine sichtbare Narbe an seiner Stirn, so wurde der von seinem Vater an Ort und Stelle verdroschen!
Den Jungen unserer Klasse hatte es aber mehr der steinerne “Bismarckthurm” angetan. Er eignete sich unheimlich gut zu irrsinniger Mutprobe. Dazu wurde die steinerne Wendeltreppe etwa 5 Meter hochgelaufen und zu einer rückwärtigen schmalen Fensterscharte hinaus geklettert. In dieser Höhe hat der kreisrunde Turm ein gemauertes nach außen abfallendes Gesims von maximal geschätzten 25 cm auskragender Tiefe. Mit dem Rücken zur Wand ging es nun einmal außen rund um den gesamten Turm. Ganz haben sich das nur wenige getraut.
Ulf, mutigster “Vorturner” hat es mehrmals geschafft, ist aber ein anders Mal außerhalb der Schulzeit abgestürzt. Unten lag knochenharter Splitt und darauf Mitschüler Ulf. Da ist er kopfüber drauf gestürzt.
Sein Schädelbasisbruch hat ihn dann eine ganze Weile außer Gefecht gesetzt.
Zu gern bin ich nach Schulschluss zum Baden in der Tonkuhle am Mastenweg, fast bis nach Rieder, geradelt. Das war nicht so gefährlich. Die ist etwa 15 m tief, wird erzählt, und beherbergt mehrere geklaute Fahrräder und Mopeds, die hier versenkt wurden und eine Quelle mit eiskaltem Wasser, die auch den vorbei plätschernden Bicklingsbach zusätzlich speist.
Hier war es immer idyllisch, da tummelten sich nachmittags höchstens 5 oder 6 badende Schüler gleichzeitig. Es wurde oft nackt ins Wasser gesprungen, aber nicht immer. Hier lernte auch ich erste Freundinnen näher kennen … Da war ich dann aber keineswegs so freizügig (siehe Baden in Magdeburg).
Mit einer Ute fing es ganz harmlos an, die hat mir sogar in der nachfolgenden Weihnachtszeit täglich frische selbst gebackene Plätzchen mit in die Schule gebracht …
Nach Neujahr gab’s keine Plätzchen mehr, da ließ ich sie kurzerhand wieder sausen.
Mit einer Gerlind war ich dann wieder einige Male an meiner Badestelle, allerdings erst zur nächstjährigen Badesaison und schon etwas romantischer, oft mit ihrer Wolldecke ausstaffiert …
Ach, ich war grundehrlich zu den Mädchen, oder ist einfältig treffender?
Wegen Christel vom Rätzsee ließ ich nämlich von Gerlind ab, gab ihr dummerweise sofort den Laufpass … Das hätte nicht sein müssen, denn nach meinem schönen Sommerurlaub mit Christel war ich nun wieder allein …
Am Mastenweg fanden wir Jungen nahe der alten wilden Schuttkuhle am sumpfigen Hackel, unweit des “Ochsenkopfes” massenhaft etwa 4 cm dicke reinste gelbe Schwefelplatten. Keiner wusste, wie die dorthin gelangten. Der Schwefel wurde auf Geheiß vom “Feuerteufel” Fred A. aus unserer Straße mit dem Handwagen abtransportiert. Der Junge war “gut”, hat immer schön in Chemie aufgepasst, war schon etwa 2 bis 3 Jahre älter als wir und hat in der Waschküche seiner Mutter Unmengen von Schwarzpulver produziert. Dumm und ahnungslos war ich einmal beim Abbrennen dabei.
Wir zogen zu sechs oder zu sieben Jungen in die Gartenanlage, geradeaus in der Verlängerung der Maxim-Gorki-Straße. Am Ende, dort wo der Gartenweg sich nach rechts und links gabelt, stellte Fred eine Obststiege mit dem Boden nach oben auf den Weg. Darauf platzierte er ein volles 1-Liter-Einweckglas mit Schwarzpulver. Auf seine Anweisung gingen wir alle in gebührendem Abstand in Deckung. Er aber drehte aus einer Zeitung einen langen Fidibus und steckte diese Lunte an.
In Sekundenschnelle entzündete sich das Schwarzpulver, und zwar explosionsartig. Es wurde wie durch ein Wunder niemand verletzt. Der Gartenbesitzer aber wundert sich sicher heute noch, wie die hunderten kleinen Glasscherben etwa 30 bis 40 cm über Weges-Niveau in seinen Holzzaun gerieten.
Ich hielt mich von nun an freiwillig immer von Fred fern. Wusste ich doch noch von einem tragischen Geschehen in Tanne. Dort sind nach Kriegsende beim Spielen mit Fundmunition mehrere Kinder umgekommen und einige schwer verletzt, gar verstümmelt worden.
Bei einer weiteren Aktion stellte Fred in seinem Hausvorgarten an eine massive Ziegelstein-Gartenmauer innen ein verrostetes Eisenrohr. Das war sicher auch bis zur Hälfte mit Schwarzpulver gefüllt. Oben rein kam Konfetti, das einige Nachbarskinder zuvor mit Locher produzierten.
Dann wie jedes Mal: Alle Mann in Deckung! Rumms!!!
Jetzt flog das Konfetti über die Straße, dann schlug das zerfetzte Rohr wieder auf dem Asphalt auf und A’s hatten eine Vorgartenmauer, die um 10 cm zur Straße hin versetzt war, aber somit auch einen größeren Vorgarten.
Die arme Frau A., sie hatte mit ihrem Fred wirklich den Hauptgewinn in der Kinderverlosung gezogen. Übrigens hatte Frau A. keine Nase mehr. Nur Nasenlöcher. Niemand wußte warum, vielleicht wurde ihr die Nase von Fred abgeschossen … ;)
Fred ist übrigens in späteren Jahren dem Alkohol anheim gefallen, kreuzte dann 1984/85 in Harzgerode bei Plastopack nochmal meinen Lebensweg, störte da meinen gemütlichen Nachmittagskaffee, den ich im Lohnbüro trank, ohne dass ich mich zu erkennen gab, und ist nun schon verstorben …
Rechts neben A’s wohnte noch eine komische Nase. Die gehörte dem pensionierten Fräulein Brinkmann. Sie lebte allein, denn ihr adoptierter Sohn ist als Kampfpilot gefallen, nicht aus dem Krieg heimgekehrt.
Sie war früher auch eine Lehrerin an unserer Schule, lange vor meiner Schulzeit und war noch mit Albert Schweitzer persönlich bekannt. Nie wieder sah ich so eine dicke schöne Nase mit einer noch größeren Warze darauf, die den ganzen Sommer über unter ihrem chinesischen Sonnenschirm nebst Chow-Chow, einem chinesischen Rassehund, auf dem schmalen Haustürpodest vor ihrem Reihenhaus saß. Bobby hatte es bei ihr gut, war aber trotzdem zum Fürchten hässlich … Sah aus, als sei er gerade gegen die Wand gelaufen!
Sie erzählte allen interessierten Kindern an den meisten Nachmittagen immer neue Märchen und wohl selbst erdachte Geschichten. Denn in fast jeder ihrer Geschichten kam nämlich ein Schokoladenturm vor, warum auch immer. Ihre Warze aber hatte sie durch einen ins Haus gefahrenen Kugelblitz erhalten, der auf ihrer Nase einschlug … (erzählte sie uns). Fräulein Brinkmann ist längst verstorben, ohne das mir einst versprochene Jugendweihe-Geschenk je auszuhändigen. Nicht mal auf alte Lehrerinnen ist mehr Verlass …!
Im West-Fernsehen lief nun sonnabends immer der “Beat-Club” (1. Musiksendung mit englisch-sprachigen Interpreten, 1965-72). Den zu Hause zu sehen, war mir mütterlicherseits streng verboten. Sie hatte wohl Ulbrichts diesbezügliche Aversion vernommen und beschlossen, auch mich von diesem “Jeh jeh jeh und wie das alles heißt” (Originalton Ulbricht 1965 nach dem “Gammler-Aufstand” in Leipzig) fernzuhalten. (gemeint war natürlich das “yeah, yeah, yeah” der Beatles)
(Zur Erklärung : Der “Gammler-Aufstand” war die Umschreibung für die Auseinandersetzungen mit, meist langhaarigen, Jugendlichen in Leipzig am 31. Oktober 1965, die gegen Auftrittsverbote von Beatgruppen protestierten. Einen Monat zuvor wurde durch das Zentralkomitee der SED in der DDR das Abspielen von westlicher Beatmusik weitestgehend verboten. E. Honecker nutzte W. Ulbrichts Abwesenheit durch Urlaub, um diesen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Er war federführend u.a. am Auftrittsverbot der DDR-Kultgruppe Renft (“Butlers”) beteiligt. Das kam einem Berufsverbot gleich und löste die Jugendproteste aus. Niemand wollte sich die Beatmusik verbieten lassen. An diesem Oktobertag gab es in Leipzig massenhaft Festnahmen. 264 Zuführungen wurden gezählt und in sofortigen Schauprozessen wurden 107 Jugendliche zu mehrwöchigem Arbeitslager im Braunkohlerevier Regis-Breitingen verurteilt. Weihnachten 1965 waren auch die letzten wieder frei.)
Doch nachmittags nach Erledigung aller Haushaltsaufgaben schaffte ich es manchmal, quer über die Kreuzung zu meinem Mitschüler Michael V. . Der durfte bei seinen Pflegeeltern immer “seine” Musik-Sendungen sehen und hören, seinem Hobby frönen, auch wenn es Beat war und hatte so schnell die Bude voller Freunde.
Auch sonst war Michael beliebt, denn er besaß neben allerlei anderem Getier einen Kolkraben. Dieser konnte sogar sprechen: “Rrrabe”. Ob er sich selbst damit meinte, oder Michaels Pflegeeltern, denn die hießen auch Rabe, wusste aber nur der Vogel selbst …
Einmal schrillten die Feuersirenen, während wir die letzten 5 Unterrichtsminuten absolvierten. Als wir aus der Schule traten hörten wir schon 2 Feuerwehren Richtung Ochsenkopf fahren. Michael schwang sich auf sein Moped “SR 2”, ich mich auf’s neue Diamant-Fahrrad und ab ging’s, direkt hinterher. Am Bicklingsbach war Richtung Gersdorfer Burg alles abgesperrt, doch ein Hilfs-Sheriff ließ uns durch und meinte, wir sollten direkt geradeaus über den Berg fahren, da sähe man mehr. So war es auch. Wir waren fast an dem alten brennenden Haus in der einzigen Obst-Plantage dort draußen. Genau dort, wo wir einige Zeit zuvor schon mal ein nacktes, kopulierendes Liebespärchen freudig beobachteten und dann mit einer Schlappschleuder (Zwille) störten … :)
Unsere Strafe dafür erfolgte erst jetzt: Die Staatsmacht schlug erbarmungslos zu!
Kriminalisten wurden auf uns aufmerksam und haben uns festgesetzt. Jeder von uns spürte eine krallende Hand im Genick. Festgenommen! Jeden separat!
Hier brannte es, und wir waren vor Ort, also wurden wir ihre passenden Brandstifter.
Nach langem schimpfenden Verhör aber glaubten uns die beiden Kriminaler, dass wir bei Alarmierung noch in der Schule saßen. Das hat denen mächtig gestunken, das merkten wir. Nicht jeder Fall wird gleich gelöst … Das merkten die!
Mit Familie J. lebten noch etliche Zierfische in der Wohnung im Steinweg. Mein Onkel Josef und Tante Dita, die ich beide später nur noch mit ihrem Vornamen ansprechen brauchte, baten mich, einige Tage ihre Fische zu versorgen, während alle sechs J’s verreisten. Das tat ich gerne. Verlockenderweise stand auf dem Stubentisch ein voller Zigarettenspender. Da konnte ich nicht widerstehen, habe einige Glimmstängel weggepafft. Immer in der Annahme, das merkt schon keiner … Doch Josef hatte die Stängel gezählt. Aber später auch den Mund gehalten, das haben meine Eltern nie erfahren … Feiner Onkel!
Zu Dita habe ich und auch zu Judith die engsten Bezüge, kommen sie altersmäßig doch mir am nächsten. Bei beiden war ich schon bewusst erlebend bei den Hochzeiten anwesend.
Ditas Hochzeit fand bereits im Herbst 1958 in der Union, also in Ditas Betrieb statt. War eine “sozialistische Hochzeit”. Der neueste sozialistische Schrei! Da wurde im Betrieb geheiratet und einige Kollegen kamen gar in ihren blauen Arbeitsanzügen direkt von der Werkbank …
Das Ritual hat sich logischer Weise nicht durchgesetzt. Onkel Karl (Mäm), mein Nachbar und Freund meiner Eltern war hier der Standesbeamte. Nach der Trauung ging es nach Blankenburg zum Feiern, zu Josefs Eltern in ein herrschaftliches großes Doppelwohnzimmer mit weit in die Wand geschobenen verglasten Türelementen, die sonst als Raumteiler dienten.
Ich hatte in meinen bisherigen sieben Lebensjahren noch nie so viele frische leckere Blechkuchen wie dort in deren Waschküche gesehen und mit verspeist. Tolles Erlebnis!