Am 1. September 1966 begann meine Lehrzeit. Am Wochenende zuvor erfolgte mit allen Eltern die feierliche Eröffnung unserer 3-jährigen Ausbildung in der Berufsschule an der Bossewiese, am Kleers, zum Maurer.
Ein schönes Gefühl, die eigentliche Schulzeit nun endlich abgestreift zu haben …
Anschließend fuhren wir noch alle an diesem Tag in die Süderstadt, ans Ende der Johannishöfer Trift. Hier befand sich unsere erste Baustelle, ein fast fertiges Post-Fernmelde-Dienstgebäude, ein Flachbau.
Unser neuer Lehrmeister, Heinz Kühn aus Hedersleben, hielt eine kurze Ansprache.
Im Anschluss bekam meine Mutter einen kleinen Rappel, denn völlig ohne Anlass, aus dem Nichts heraus sprach sie Meister Kühn an. Warum weiß wohl nur sie: “Herr Kühn, wenn der Volker nicht pariert, hau’n Sie ihm gleich eine runter!” Eine weitere Mutter stimmte sofort mit ein, und bat darum, dass ihr Sohn ebenfalls Schläge erhält. Wie krank waren nur manche Mütter?!
Alle, aber auch alle meine neuen Kollegen Mitlehrlinge haben das gehört und ich war der Blamierte und vom ersten Tag an ihrem Hohn ausgesetzt …
Und auf solchem Käse können Heranwachsende lange rumreiten …
Das zweite Unglück ereilte mich um 16:15 Uhr am 2. September 1966, meinem zweiten Lehrtag.
Ich stürzte brutal über mein eigenes Fahrrad beim Berg hoch schieben, unterhalb meiner alten Schule, Mitte der Ferdinand-Lassalle-Straße, und rammte mir den Lenker in die Brust. Ich bin wohl an der Pedale hängen geblieben. Ich war also nicht nur in der Schule dumm, nein es reichte nicht mal fürs Fahrrad schieben!
Der metallene Klingelknopf bohrte sich bis in die Lunge. Das hervortretende helle wallende Blut war nicht das Schlimmste, nein, eine fürchterliche Panik überkam mich, weil ich zu Ersticken drohte.
Die Atemluft wurde nicht mehr komprimiert, sie trat mit dem Blut unkontrolliert aus dem Brustkorb aus. Schlimm war, dass etliche Passanten mich so liegen sahen, sie sahen wie ich mich vor Schmerzen im Blut wälzte - und kein einziger hat mir geholfen!
Genau in diesem Moment kam aber meine Mutter von der Arbeit und hat mich dort “aufgesammelt”. Sie kam ausgerechnet an diesem Tag pünktlich. Halleluja!
Die Siebententags-Adventistin Oma Hedwig hätte gesagt, der Herrgott hat’s gerichtet. Das war mein Glück und ein wirkliches Wunder! Das hat mir wohl das Leben gerettet.
Ich presste nun die 150 m bis nach Hause, dann weiter in Mäms Auto bis zur Poliklinik, mit aller Kraft das Loch im Brustkorb zu und bekam dort einen Druckverband. Und dann kam ich endlich auf den OP-Tisch im Krankenhaus und wurde mit 5 Stichen “geflickt”.
Ich bekam einen offenen Thorax und einen Spontan-Pneu diagnostiziert. Alles wurde bei vollem Bewusstsein fein säuberlich vernäht und wegen des Druckverbandes auch bald wieder gut. Ich erhielt allerdings für lange Zeit einen Schonplatz und behielt noch für Jahre eine gewaltige Kurzatmigkeit, die ich erst während meiner NVA-Zeit langsam abstreifte. (Dort habe ich in der wenigen freien Zeit Ausdauerläufe in Serie vollzogen. Selbst im Ausgang habe ich in Uniform die 7 km bis Torgau meist im Laufschritt zurückgelegt. So baute sich mein Luftvolumen von 3,50 Litern wieder bis 5,60 Liter auf. Das ist der einzige positive Aspekt meiner gesamten Militärzeit)
Ja, Unkraut vergeht nicht …
Wir Lehrlinge mussten nun alle in die GST (dazu gleich mehr) und die DSF (Deutsch-Sowjetische-Freundschaft) eintreten. Es war in der DDR für jeden Jugendlichen übliche Pflicht dort Mitglied zu sein. Eine wirkliche Freundschaft konnte aber nie gepflegtwerden, weil vom Staat absolut keine Kontakte vorgesehen waren.
Die DDR spielte sich selbst ständig Theater vor Marionettentheater, wie die “Augsburger Puppenkiste”. Zwar ging es nicht immer so lustig zu, aber die Fäden wurden auch über uns gezogen.
Als ich in die DSF eintreten sollte, sagte ich ernsthaft und mit tiefster innerer Überzeugung, dass dies nicht nötig sei, da ich diese Freundschaft ohne Beitrag zu zahlen täglich praktiziere. Meine Ansicht war ehrlich und absolut logisch. Das hörte aber kein Ausbilder gern: “Wir treten geschlossen ein, basta!”
Es ging also nicht um Freundschaft, sondern vordergründig um Mitgliederzahlen und meinen zu leistenden Monatsbeitrag von 30 Pfennigen …
Nun kamen wir zur Schulneubau-Baustelle nach Ditfurt. Dazu wurden wir morgens und nachmittags mit einem alten “Phenomen”-Pritschen-LKW gefahren. Auf der Pritsche waren Holzbänke montiert. Zumindest im Winter fuhr der LKW dann mit Spriegel und Plane. Da war man nach 8 km oft durchfroren. Solche Baustellenanfahrten konnten aber auch 30 km lang sein.
Neben der alten Schule wurde der bisherige Schulhof weggebaggert. Aus diesem wurde eine tiefe Baugrube für den Keller des neuen Schulanbaus. Der Schulhof verbarg aber bis dahin ein uraltes Ditfurter Geheimnis.
Hier wo bis 1967 Kinder tobten, existierte einst in grauer Vorzeit ein Friedhof. Als wir erstmals die Baugrube betraten, ragten teilweise Gebeine aus dem Baugrubenabbruch. Schaurig schön, das war doch mal was für uns Halbstarke …
Man konnte seitlich der Baugrube die einzelnen Grabstellen, wohl Reihengräber erkennen. Da die alte Schule nicht unterkellert war, mussten wir nun meterweise die Böschung am und unter dem Schulgiebel von Hand weg graben. Dann wurde ein Stück des alten Schulgiebels unterfangen, also untermauert, und sogleich folgte der nächste Meter. In diesem Erdaushub lagen auch noch einige der hunderte Jahre alten Leichen.
Sobald ein neues Skelett frei lag, stürmte unser Lehrausbilder los, um wenigstens den Schädel zu sichern. Den zertrümmerte er dann mit Akribie, damit seine Pappenheimer damit keinen Fussball spielten.
Hier muss auch eine Vorfahrin meiner Russischlehrerin begraben worden sein. Denn einen Totenkopf zierte noch immer ein geflochtener Dutt. Ich staunte, wie lange sich doch manche Friseurarbeit hält.
Als eines Tages unser Lehrobermeister H. aufkreuzte, waren 2 Oberschenkel-Knochen gekreuzt oben an einer Gerüststange angenagelt. Obenauf ein Schädel. H. tobte sofort, vermutlich war das der Grund seines Kommens. Alte Ditfurter hatten sich offensichtlich wegen dieser Leichenfledderei beschwert. Zu recht!
Nach kurzem Gebrüll wurde auch aus diesem skandalösen Ort eine sozialistische Vorzeige-Baustelle. Statt Ahnenschädel wehte nun immer seine mitgebrachte FDJ-Fahne …
Zu unserem Lehraktiv gehörte auch Gerd. Er ging zuvor schon 9 Schuljahre in meine Parallelklasse. Schon durch unsere Arbeit verbrachten wir zwangsläufig viel Zeit gemeinsam.
Meine Mutter aber wollte mir jeglichen Kontakt mit Gerd verbieten. Ein irrwitziges Unterfangen. Irgendwann war Schluss mit Lustig. Ich fragte nach einer plausiblen Erklärung, und die bekam ich postwendend:
Gerds Vater hatte nach 1945 eine lange Zuchthausstrafe zu verbüßen. Und mit Zuchthäusler-Kindern sollte ich mich nicht abgeben. Stellte sich da etwa die Frage nach Sippenhaft?
Da wir beide, Gerd und ich, aber ein gutes Verhältnis hatten, habe ich ihm vom Ansinnen meiner Mutter erzählt und nach seinem Vater befragt. Da erfuhr ich dessen böses, trauriges Schicksal:
Die Familie bewohnten während und nach dem 2. Weltkriegs den alten Schießplatz. Sie hatten 11 Söhne, Gerd war der Jüngste. Viele seiner Brüder waren bei Kriegsende schon geboren. Als die Russen in Quedlinburg einmarschierten, beschlagnahmten diese dann das ganze Anwesen, bis deren letzte Lebensmittel-Vorräte aus ihrem Keller vertilgt waren. Dann durfte die Familie zurück ins geplünderte Haus, sah die geleerten Einweckgläser und musste fortan Hunger schieben.
Da hat Herr X. in seiner Not, um seine Kinder nicht leiden zu lassen, schwarz irgendwo mit Irgendwem ein Schwein geschlachtet. So in etwa die Kurzform. Die Sache flog irgendwie auf und er bekam dafür umgehend 10 Jahre Zuchthaus (!) verpasst.
Solch drakonischen Strafen gab es nach dem Krieg oft für Nichtigkeiten. Und schon war der Vater als Schwerverbrecher gebranntmarkt. Frau X. musste nun allein klarkommen. Hoch lebe der gerechte Sozialismus!
Mit diesem Kenntnisstand konnte ich mich Mutters Philosophie wahrlich nicht anschließen.
So stand in einer “Freiheit” von 1952 , dass ein junger Mann 1 Jahr Zuchthausstrafe erhielt. Sein Verbrechen war es, in Quedlinburg das “Café Heine” bestohlen zu haben. Er schlich über den Straßenzug “Damm” hofseitig an ein Küchenfenster und entwendete eine ganze Torte.
Ich bekam diese SED-Zeitung bei Renovierungsarbeiten in unserem Haus zu fassen, als sie unerwartet aus einem alten Jutepaneel fiel.
Als Lehrlingsgeld bekamen wir anfangs 85,- Mark im Monat, das erhöhte sich jedes halbe Jahr um 5,- Mark und im letzten, dem 3. Lehrjahr sogar um jeweils 10,- Mark auf endlich stolze 120,- Mark.
Ich selbst bestimmte, dass ab sofort meine 11-jährigen Schwester monatlich 5.- Mark von mir Taschengeld geschenkt bekam.
Bislang erhielt sie 30 Pfennige und ich ein 50-Pfennigstück pro Woche von den Eltern. Über 3 Jahre lang, bis zur Armeezeit wurde nun meinerseits pünktlich gezahlt!
Meine Mutter legte nun fest, dass ich jeden Monat 20.- Mark für mich auf die Sparkasse bringen sollte … Das war absolut in Ordnung. Fand ich gut.
Doch das Folgende nicht:
Weiter wurden mir ihrerseits von meinem eigenen Geld ganze 20.- Mark monatliches Taschengeld zugestanden. Alles was übrig blieb, hatte ich fortan als Kostgeld abzugeben. In allen 3 Lehrjahren blieb das so!
Ich hatte infolge dessen keinerlei Freude mehr an meinen halbjährlichen Lohnerhöhungen. Denn jeden neuen Überschuss fischte sie umgehend ab. Sie begriff nie, was sie mit ihren seltsamen Entscheidungen anrichtete …
5 Mal gab es also eine kleine Lohnerhöhung und 5 Mal gärte es in mir.
Meine Lehre selbst aber hat mir immer Freude bereitet, wurde doch auch ich nun erstmals von allen Erwachsenen geachtet und respektiert. Überhaupt herrschte hier im Wohnungsbaukombinat ein gelösterer Umgangston. Aber das Wesentliche war, dass ich wirklich meinen Traumberuf erlernte. Ich wurde Bauarbeiter.
Was mir aber absolut gegen den Strich ging, war unsere zwangsweise verordnete “Vormilitärische Ausbildung”. Mit ihr wurde DDR-weit unter dem Deckmantel der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) der Jugend der Militärdrill anerzogen. Wir wurden hier am Kleinkalibergewehr ausgebildet und zu allerlei unnützen Geländeübungen genötigt. Unser Feind stand immer im Westen! Das war unumstößliches Gesetz.
Wer sich verweigerte wurde als Klassenfeind diffamiert, hätte später zum Beispiel nie eine kostenlose Meisterschule besuchen können. Also fügten sich alle Lehrlinge und hatten meistens ihre Ruhe; so schafften folgsam auch die Dümmsten ihre Prüfungen.
Zu Hitlers Zeiten gab es die Pimpfe und das Jungvolk war in der Hitlerjugend organisiert. Jetzt wurden Jung-Pioniere zu Thälmann-Pionieren und dann FDJ-ler.
Politisch und militärisch gedrillt wurden wir Heranwachsenden jetzt unter roter statt brauner Fahne, aber genauso unerbittlich.
Selbst die Pioniere hatten wie zu Hitlers Zeiten ihre Fähnlein-Führer. Die schleppten bei jedem Ausflug ebenso einen Speer mit aufgepflanztem Fahnenwimpel mit. Sie hießen nun aber Gruppenratsvorsitzende/r und waren nur für ihre eine Pioniergruppe zuständig und dem Pionierleiter unterstellt.
Lediglich die politischen Vorzeichen hatten gewechselt, der Drill aber und die Kontrolle blieben, anfangs leicht abgeschwächt, aber unverändert!
Dabei hatten unsere Jahrgänge noch Glück. Zum Leidwesen vieler friedlicher Lehrer wurde ja später in den 70-ern auch noch der Wehrkundeunterricht eingeführt und schikanöse Wehrlager mussten durchlaufen werden. Eine mir bekannte Unterstufenlehrerin wurde angehalten, ihren 5.Klasse-Schülern bereits den Offiziersberuf schmackhaft zu machen.
Als mein Vater 1948 aus Gefangenschaft kam, wurde noch allseits, auch von den später verantwortlichen Genossen “NIE WIEDER!” getönt.
Doch der Deutsche lernt wohl nie dazu!
Was ich bis heute nicht begreifen kann, ist die Tatsache, dass sich immer wieder willfährige Militär-Ausbilder fanden. In unserem Fall war das Fachlehrer Walter K. und der uniformgeile Lehr-Obermeister Helmut H. . Der mischte auch noch freiwillig als Kommandeur der Betriebskampfgruppe des WBK mit. Kurioserweise hieß der Kommandeur des Druckguss-und Kolbenwerkes in Harzgerode auch Helmut H. . War aber ein Anderer!
Wie kann man nur mit stoischer Begeisterung in seiner Freizeit Krieg spielen …?
Beide WBK-Leute waren doch weiß Gott alt genug und im 2. Weltkrieg sicher auch schon an der Front, deren Schrecken schien sie aber nicht beindruckt zu haben …
In den ersten 2 Lehrjahren waren wir zu 30 Mann in der Berufsschule und zu zehnt in unserem Lehraktiv mit Lehrmeister Heinz Kühn aus Hedersleben. Ein weiteres WBK-Lehraktiv leitete Lehrmeister Klaus Eggert aus Ditfurt. Die übrigen Lehrlinge kamen aus der Region um Harzgerode zur Schule, Praxis erhielten sie in Harzgerode und Umgebung in ihren Firmen.
Wir wurden bestens von unserem Lehrmeister Heinz ausgebildet. Das war und ist ein feiner Kerl und auch ein exzellenter Fachmann. Da konnten wir echt etwas lernen.
Ich hatte ab 2. Lehrjahr mein Versprechen einzulösen und besuchte nun 3 x wöchentlich abends die Volkshochschule um die 10. Klasse, die Mittlere Reife, zu erreichen. Anfangs waren wir 34 Schüler jeden Alters. Manche belegten auch nur einzelne Fächer. Die meisten aber quittierten schon im Laufe des ersten halben Jahres die abendliche Paukerei und bliesen zum Rückzug. Zum Schluss waren wir nur noch 4 Schüler und 3 davon waren Ehemalige der Martin-Schwantes-Schule.
Mit mir lernte auch Gerd fleißig bis zum Schluss. Die Zeugnisse gab es jedoch erst nach zweieinhalb Jahren. Aufgrund der hohen Fluktuation verschoben sich nämlich immer wieder unsere Ausbildungszeiten und Prüfungen, denn wir paar Hansel wurden immer wieder neuen Klassen zugeschlagen. Mit uns lernte noch gemeinsam Marlies aus der Mathildenstraße. Die immer frohe und lebenslustige Marlies ist tragischer Weise etwa 10 Jahre später während ihres Urlaubs in der Ostsee ertrunken …
Zu einer Betriebsfeier sollte unser Lehraktiv namens “Roter Stern” ausgezeichnet werden. Dazu waren aber nur Facharbeiter und Lehrpersonal geladen.
Gerd und ich fanden das nicht akzeptabel und so luden wir uns rotzfrech selber ein. Fein angezogen sind wir einfach in den Kulturraum gestiefelt und haben uns allein, wie selbstverständlich an einen Sechser-Tisch gesetzt, und warteten, was wohl gleich passiert. Doch niemand störte sich an unserer Dreistigkeit, das war unheimlich. Als unser Kollektiv zwecks Auszeichnung benannt wurde, erhoben wir uns unaufgefordert und standen dann mit Lehrmeister Kühn im Rund. Der wunderte sich sichtlich aber sagte nichts und die anderen dachten wohl, es solle so sein. Heinz hatte eben Klasse.
Und eine runter gehaun hat er mir freundlicher Weise auch nie!
Heinz empfing für jeden Lehrling 25,- Mark. Große Freude! Wir beiden setzten uns wieder an den für sechs Mann gedeckten Tisch. Bekamen reichlich Essen und Freibier soviel wir wollten. Auf jedem Tisch stand aber noch eine “Granate”, eine 0,7-Liter-Flasche Weinbrand-Verschnitt (für je 6 Mann gedacht).
Ein Gesöff, ein Fusel von dem man bei Dauergenuss blind wird. Wir leerten die Flasche zu zweit in Selbstbedienung und kürzester Zeit. Ich weiß nur noch, dass uns vom Nachbartisch eine weitere Pulle gereicht wurde … dann Filmriss …
Irgendwann am nächsten Morgen bin ich in meinem roten Inlett-Bettzeug (Federbett ohne Bettbezug) wach geworden. Warum wohl? Später habe ich erfahren, dass man mich nach etwa 1½ Stunden als einen der Ersten mit dem Chef-PKW nach Hause brachte. So besoffen, wie mit knapp 16 war ich nie, nie wieder …
Fast so, schon …
Meine Mutter wollte verständlicher Weise ursprünglich eine Beschwerde starten, ich habe es aber geschafft, sie davon abzubringen. Danke Mutti! Denn ohne Beschwerde ging es mir besser!
Zu Beginn des 3. Lehrjahres hat man unsere Kollektive planmäßig aufgelöst und wir wurden einzeln, unseren Begabungen und Wünschen entsprechend, auf Brigaden der verschiedenen Gewerke aufgeteilt, in denen wir nach der Lehre in aller Regel verblieben. Ich kam in eine Ausbaubrigade.
Die putzten nach den Tischlern die Türen und Fenster ein, betonierten Fußböden und zogen Leunit-Scheuerleisten. Bereiteten die neuen Wohnungen für die Maler vor. Das waren sehr abwechslungsreiche und interessante Arbeitsaufgaben, in einer duften und durstigen Truppe. Was ich armer Lehrling da täglich bereits vor dem Frühstück schon an Bier und Fusel herantragen musste, geht auf keine Kuhhaut. Irgendeiner hatte immer Durst. Meist aber alle!
Allerdings verlangte Bernhard der Brigadier (Polier) erst die Tagesleistung zu erbringen. Dann wurde oft gesoffen … Hier wurde dem Bild des durstigen Maurers wahrlich Rechnung getragen! Der immer Zigarre rauchende Meister Hans E. und die gesamte Bauleitung wussten dies, duldeten es aber, weil trotzdem immer Verlass auf unsere Truppe war.
Und weil ich meine Arbeit wohl zur vollsten Zufriedenheit erledigte, gestattete mir Hans Essmann recht bald, in seiner kleinen handverlesenen Feierabendtruppe mit zu ackern. (Da wurden nochmals täglich bis zu 4 Stunden im “2. Arbeitsverhältnis” gutes Geld verdient, das war staatlich erlaubte Schwarzarbeit.)
Durch meine Abendschule, konnte ich nur dienstags, donnerstags und sonnabends dort mitarbeiten. Denn Montag, Mittwoch und Freitag drückte ich die Schulbank an der Volkshochschule. Da gab es in damaliger Zeit schon 5.- Mark für den Lehrjungen in der Stunde. So kam etliches Geld zusätzlich auf mein Konto.
Einiges Geld brauchte ich zum Kauf eines Transistor-Radios. Ein Koffergerät “Stern 111”, Mittelwelle, Kurzwelle und UKW waren zu empfangen. Das Teil kostete weit über 300.- Mark. War aber damals ganz wichtig, weil es ein Statussymbol war. So bin auch ich, mit dem Radio auf dem Unterarm liegend, in die Quedlinburger Altstadt gezogen und habe auf dem Innenstadtring, der berühmten “Quedlinburger Null” meine Runden gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Das war Usus.
Die “paarungswilligen” Mädchen liefen rechts herum, also mit dem Uhrzeiger …
Nach spätestens einer halben Runde hatte man alle infrage kommenden Schönheiten erblickt, konnte Vergleiche ziehen. In der zweiten Runde begannen dann die Annäherungsversuche. Da spielte nicht nur das eigene Aussehen eine Rolle. Ich hatte schon wegen meines Jeans-Anzuges große Chancen. Gab nicht viele Konkurrenten mit Levi-&-Strauss-Klamotten … Auch das Radio hatte eine gewisse Anziehungskraft.
Ich konnte nachmittags aber nur dort rumrennen, wenn durch die Schulferien meine Volkshochschule freudiger Weise pausierte …
Unsere einwöchige praktische Gesellen-Prüfung fand oberhalb des Weinbergweges statt. Hier stand das stattliche Haus des Volkskammer-Mitgliedes Hans-Heinrich S. . Er war auch kurze Jahre Staatsratsmitglied und zu einem der führenden Männer in der DDR avanciert.
Ursprünglich war er mal privater Handwerker, dann PGH-Vorsitzender seines Betriebes im Augustinern. Später um 1972 mutierte seine Möbelbude dann zum Volkseigenen Betrieb und wurde nach der Wende 1989 Ausstatter, unter anderem für Kreuzfahrtschiffe. “Möbel-S.” gibt es heute noch in Quedlinburg, in “Groß Orden” an der Magdeburger Straße.
Wir mussten ihm einen Haus-Erweiterungsbau in verbandgerechtem Mauerwerk erstellen. Etwa 20 Prüflinge und etwa 30 jüngere Lehrlinge zum Handlangern waren dort vor Ort.
Bei sengender Sonne waren wir am Mauern. Kein einziger Tag unter 30 Grad. Da kam die spendable gnädige Frau und ließ einen Kasten “Leninwasser” (billigste rote Brause, die Flasche für 21 Pfennige) hinstellen. Das war ihr Beitrag zur Erfrischung der jungen Garde. Umgehend war eine Keilerei um die paar Pullen im Gange. Es schlugen sich aber nur die “kleinen” Lehrlinge. Wir “Großen” hatten erst gar keine Chance auf das edle Gesöff, denn wir standen noch auf dem Gerüst … Zwei bis drei Jungen sollten sich offensichtlich je eine Flasche teilen.
S. wollten uns sicherlich bereits 1969 an zukünftige Rationierungen gewöhnen! Wie krank waren die?
Bereits im 1. Lehrjahr hatte ich einem Herrn K. aus Rieder, einem Kollegen meines Vaters, sein verrostetes Moped “SR 1”, Baujahr 1952 abgekauft. Das bauten wir wieder auf und dann traute ich mich sogar, damit 270 km bis an den Rätzsee zu fahren.
Nach dem 3. Lehrjahr kaufte ich dann für 1.200.- Mark ein ladenneues Simson-Mokick namens “Star” im Fahrzeughaus beim Mann meiner früheren FDJ-Sekretärin Annerose. Da er meinen Vater gut kannte, bekam ich das Moped sehr schnell. Beziehungen waren immer gut.
Der “Star” war ein feines zweisitziges Mokick. Ich brauchte allerdings nach 3 Tagen bereits einen Ersatzrahmen. Denn auf der Fahrt in den Urlaub, bin ich einem wieder anfahrenden und an den Bahnschienen grundlos abrupt abbremsenden Skoda hinten aufgefahren. Das geschah am Bahnübergang auf der heutigen B 5 bei Segeletz. Zu DDR-Zeiten hatte grundsätzlich der Auffahrende Schuld.
Das war sicher auch der Grund, warum der Fahrer aus seinem einen Tag alten Auto sprang und mich mit “Mörder, Mörder” anschrie. Ich hatte sein Auto gemordet!
Seine Frau hatte einige Mühe, ihn zu beruhigen. Sein Skoda “S 100” brauchte lediglich eine neue Stoßstange und einen neuen Motorgrill und neue Motorhaube (weil Heckmotor). Eine Reparatur konnte viele Monate dauern …
Ich aber hatte ohnehin größere Probleme. Ich saß ja zuvor breitbeinig auf meinem Gefährt, dann ist der Rahmen unter dem Tank abgeknickt. Da weiß ein jeder Mann, wo ich Schmerzen verspürte …
Nach weiteren 3 Monaten bekam das Mokick den dritten Rahmen. Da habe ich den Schäferhund unseres Nachbarn unverschuldet totgefahren. Aller guten Dinge sind drei sagt der Volksmund. Und so war es auch. Ab dem dritten Rahmen war es die reinste Freude mit meinem Star …