Reimondes “Oma” ließ uns 1973 und in der Folgezeit das Dach ausbauen sowie ein Badezimmer einrichten, samt dazugehöriger Klärgrube. Das geschah schon alles mit unserem Geld, doch auch zu ihrem Nutzen.
Im Winter 1973/74 brauchte schon keiner mehr das “Plumsklo” besuchen. Ab jetzt musste niemand mehr einen verkühlten Hintern befürchten. Endlich herrschten städtische Verhältnisse. So habe auch ich eine gehörige Portion Wohnkultur nach Harzgerode eingeschleppt.
Das geschah alles neben meiner Arbeit und der abendlichen Meisterschule. Ich pendelte mit meinem Motorrad “MZ ES 175”. Das war übrigens bis 1975 das einzige Fahrzeug, das uns zur Verfügung stand.
1975 bekamen wir aber dann nach nur 5 Monaten Wartezeit einen fabrikneuen “Trabant 601 Universal”. Der kostete 8.600.- Mark. (Als wir ihn 1980 weiterverkauften, bekamen wir 10.500.- Mark dafür.) Die Gebrauchtwagenpreise stiegen teils ins Unermessliche. Hier hatte die Marktwirtschaft die DDR längst erreicht. Normale Leute warteten derzeit darauf bis zu 12 Jahre, später noch länger, teils bis 14 Jahre!
Wir aber nicht! Denn wir waren nicht normal! Offiziell bekam Genossin Elise Wolf den Wagen über die VVN, das war die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
August Wolf, ihr Mann, war am 8. März 1945 tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden worden. Er hatte sich in der Nacht in Angst erhängt, denn als Mitglied der kleinen Widerstandsgruppe “Waldemar” wurden er und einige seiner Mitstreiter tags zuvor durch Verrat verhaftet.
Elise Wolf durfte am Abend des 7. März noch ins Gefängnis, hinter dem damaligen Gerichtsgebäude am Marktplatz Harzgerode. Sie durfte noch mit ihrem August sprechen. Indirekt hat er sich dort von ihr für immer verabschiedet. Dieses Wissen behielt Elise allerdings für sich, sie hat sich lediglich uns gegenüber diesbezüglich einmal offenbart.
Der einzige “Dorfpolizist” der das Gefängnis bewachte hat am Morgen des 8. März noch schnell ein Mädchen aus dem Gebäude gelassen, das bei seinem Vater in der Zelle war, um diesen nass zu rasieren. Seine sinngemäßen Worte waren: “Herta hau schnell ab, denn hier ist gleich die Hölle los, der August hat sich aufgehängt”. Dieses Mädchen war später bei Plastopack eine meiner älteren Kolleginnen.
Im Ort waren August Wolfs wirklichen Todesumstände allseits bekannt. Die SED machte jedoch unbesehen dessen für den Raum Harzgerode aus seinem Leid ihren passenden Märtyrer. Es wurde wissentlich gelogen, und sein, mit durch die Nazis ausgelöster Freitod als Mord dargestellt. Zeitzeugen wurden in der DDR nicht gehört. Sie gab es aber, sie mussten allerdings schweigen.
So wurde der einfache Buchdrucker August Wolf zum Helden stilisiert und sogar Straßen in Quedlinburg und Harzgerode nach ihm benannt.
Wer von den Wissenden glaubte denn solch einem Lügen-Staat nun noch irgend etwas?
Witwe Wolf erhielt fortan eine fürstliche Opfer-Rente, wohl eher als Schweigegeld und eben allerlei Vergünstigungen …
Und im Falle unseres ersten Autos profitierten ungewollt mal ganz ungewöhnlich wir jungen Leute. Kurz nach Übergabe beim VEB IFA-Vertrieb Halle wurde das Gefährt im gegenseitigen Einvernehmen auf uns umgeschrieben. Auch wir wussten kleine Vorteile für uns zu nutzen … ;)
Die einzigen drei Makel: Der Kombi war so grau wie die ganze trostlose DDR und hatte Sitze, so rot wie das Gremium, das uns den Wagen zubilligte.
Und Elise hatte nun drittens immer uns als ihre leibeigenen Chauffeure.
Erst in der Wendezeit, im Herbst ‘89, haben dann offen und ganz laut sogar Verwandte des August Wolf verlangt, dass die “August-Wolf-Lüge” endlich beendet wird. Die Straßen bekamen infolge dessen bald wieder ihre alten angestammten Namen. So heißt es in Harzgerode wieder “Am Ehrenberg” und Quedlinburg bekam wieder seine “Heiligegeiststraße”.
An einem Tiefpunkt meiner Lernlust, hätte ich meinen Meister-Lehrgang hinschmeißen können, doch Reimonde ermunterte mich, gefälligst den Lehrgang durchzuziehen. Sie trat mir bildlich in den Allerwertesten. Und das war gut so und tat auch, weil nur symbolisch, nicht wirklich weh.
Die Lustlosigkeit ereilte mich unter anderem, weil ja nicht nur interessante und fachlich wichtige Aspekte zu erlernen waren, viel schlimmer, weil sinnlos, war die Auflage in 360 Unterrichtsstunden alles über den Marxismus-Leninismus zu begreifen. Das war ein so sinnloses, ja hirnrissiges Unterfangen; alle schrubbten nur des Nachweises wegen hierbei ihre Stunden für diesen Quatsch herunter und verplemperten ihre teure, kostbare Freizeit. Ebenso gut hätten wir auch Verkehrsregeln für die Venus erlernen können. Doch vorerst noch hatte das SEIN mein BEWUSSTSEIN zu bestimmen! Oder war es umgekehrt?
Die Lehrkraft glaubte diesen ganzen Zinnober selbst nicht! So etwas merkt man!
Der Lehrer bekam aber zumindest sein Honorar dafür.
Auch diesen Teil habe ich letztendlich mit einer Zwei abgeschlossen, denn dumm schwafeln konnte ich schon immer gut. :)
Im Fach Statik hatten wir Bauleute jedoch nur 10 Stunden während des gesamten Lehrganges ohne jeglichen Nachweis, ohne jedwede Prüfung abzusitzen.
Tolle Ausbildung …